Einen Workshop des Aktionsbündnisses Urheberrecht nimmt DIE LINKE zum Anlass, ihre Position zur allgemeinen Bildungs- und Wissenschaftsschranke zu veröffentlichen und zur Diskussion stellen.
Dies ist wohl insbesondere vor dem Hintergrund, dass der so genannte 3. Korb zur wissenschafts- und bildungsfreundlichen Gestaltung des Urheberrechts in dieser Wahlperiode wohl nicht mehr kommen wird, ein durchaus notwendiger Schritt.
DIE LINKE. vertritt seit längerem die Auffassung, dass es einer allgemeinen Bildungs- und Wissenschaftsschranke bedarf. Bislang haben wir jedoch noch keinen konkreten, im Einzelnen ausformulierten Vorschlag vorgelegt, weil wir die derzeit laufenden Diskussionen noch verfolgen. Das tun wir in der Hoffnung, dass man sich auf eine möglichst weite Auslegung der allgemeinen Bildungs- und Wissenschaftsschranke einigt. Es soll aus unserer Sicht um Regelungen gehen, die belastbar sind und die künftige Entwicklung abdecken können.
Wie man sich denken kann, versteht sich DIE LINKE. als Unterstützerin eines möglichst ungehinderten Zugangs zu Wissen und Informationen. Denn schließlich sprechen wir hier von Wissen und Informationen in einem weitgehend öffentlich finanzierten Bildungs- und Wissenschaftssystem. Jede Verknappung von Wissen und Informationen läuft der Hauptaufgabe dieses öffentlichen Bildungs- und Wissenschaftssystems zuwider.
Wer ist eigentlich wofür in der Pflicht?
Das ist die Frage, die man sich bei der Auslegung der allgemeinen Wissenschaftsschranke immer wieder stellen sollte, wenn man die Rolle und Aufgaben von Bildungs- und Wissenschaftseinrichtungen, von Verwertern, von Verwertungsgesellschaften und schließlich von UrheberInnen, Lehrenden, Forschenden und Lernenden bestimmt. Es gibt eine bedeutende Schnittmenge zwischen Lehrenden, Forschenden und UrheberInnen – allein schon dadurch, dass vielfach Personalunionen bei Gewinnung, Publikation und Nutzung von Wissen bestehen.
Dies hat DIE LINKE. auch in der Internetenquete und dort insbesondere in den Projektgruppen >Bildung und Forschung< sowie >Medienkompetenz< immer wieder betont.
DIE LINKE. hielte es also für fortschrittlich, wenn ein Vorschlag mehrheitsfähig würde, der ausreizt, was möglich ist, und zugleich einen Schritt weiter geht – auch unter dem Blickwinkel des 2010 gegründeten Europäischen Netzwerkes für ein bildungs- und wissenschaftsfreundliches Urheberrecht (ENCES). Dieses Bündnis versteht sich als Multiplikator, es wirbt offensiv um Unterstützung für weiter gefasste Regelungen, die den Anforderungen moderner Bildung und Wissenschaft in den europäischen Mitgliedsstaaten gerecht werden.
Unsere Aufgabe in der parlamentarischen und öffentlichen Debatte wird es auch sein, einen inhaltlichen und einen gesellschaftlichen Grundkonsens für ein bildungs- und wissenschaftsfreundliches Urheberrecht zu etablieren.
Politik sollte die Perspektive der Betroffenen und Bündnispartner aufnehmen und als konsistente, aber auch faire Lösungen durchsetzen.
Wir halten eine allgemeine Bildungs- und Wissenschaftsschranke auch deshalb für sinnvoll, weil wir immer wieder feststellen mussten, dass die bestehenden Regelungen für die Betroffenen gar nicht mehr verständlich und praktikabel sind. Oftmals wird nicht einmal praktiziert, was rechtlich eigentlich abgedeckt wäre. Das darf wohl auch als ein sehr irdischer Grund für eine allgemeine Wissenschaftsschranke angesehen werden. Manchen überzeugen eben erst diese lebenspraktischen Konflikte.
Zwischenzeitlich gibt es, soweit veröffentlicht, drei konkrete Vorschläge für eine allgemeine Wissenschaftsschranke:
– einen vom Aktionsbündnis Urheberrecht,
– einen von der Allianz der Wissenschaftsorganisationen und einen
– von der Kultusministerkonferenz.
Diese unterscheiden sich zum einen offenbar regelungstechnisch. Und zwar in der Frage, was man alles innerhalb dieser neuen Schranke regeln will und was außerhalb davon bleiben sollte.
Zum anderen unterscheiden sie sich in der Reichweite.
Es gibt einerseits einen eher sehr konsequenten Ansatz, der darauf abzielt, die Freiheiten für Wissenschaft und Forschung möglichst zu erweitern. Dieser Ansatz wird aber auch kritisiert, weil man fürchtet, dabei in Konflikt mit dem EU-Recht zu kommen. Was spricht dagegen, diese Befürchtung auf ihre Berechtigung genau zu prüfen?
Und es gibt andererseits Ansätze, die bereits bestehenden Ausnahmeregelungen in einer Formulierung zusammenzufassen, um vor allem die Anwendbarkeit des Rechts zu erleichtern. Das wäre wenigstens ein kleiner Fortschritt.
DIE LINKE. geht davon aus, dass sich regelungstechnisch, mindestens aus Gründen der Vereinfachung und Übersichtlichkeit, eine möglichst umfassende Regelung aufdrängt. Auch wenn damit nicht automatisch neue Nutzungsmöglichkeiten geschaffen werden. Immerhin bräuchten Nutzer, beispielsweise Bibliotheken und WissenschaftlerInnen zukünftig nur noch den einen Paragraphen zu kennen, um zu wissen, was geht und was nicht.
Entsprechend der Grundsatzposition der LINKEN, dürfte nicht verwundern, dass sie sich bezogen auf den Umfang der Regelung für eine möglichst weit gefasste Variante ausspricht.
Wissenschaft und Forschung sollten ihre Aufgaben mit den Möglichkeiten, die der digitale Wandel eröffnet hat, besser erfüllen können. Ganz abgesehen davon haben sich infolge der Digitalisierung der Gesellschaft auch neue pädagogische Inhalte bzw. Konzepte entwickelt. Erinnert sei nur daran, dass man heute beispielsweise stärker kompetenzorientiert bildet und ausbildet.
Der Gesetzgeber sollte nicht zu kleinmütig an die Änderungen herangehen und potentielle Spielräume EU-rechtlicher Regelungen ausschöpfen. So schreibt beispielsweise die Infosoc-Richtlinie nicht ausdrücklich vor, dass Mitgliedsstaaten einen Vorrang für lizenzvertragliche Regelungen vor gesetzlichen Schranken festschreiben müssen. Genau dies hat der deutsche Gesetzgeber aber in einigen Konstellationen getan. Das hält DIE LINKE. für den falschen, weil unnötigen Weg.
Schranken müssen gegenüber privatwirtschaftlichen Verträgen vielmehr durchsetzungsstark ausgestaltet sein, sonst nützen sie nichts, weil sonst immer der stärkere Vertragspartner die Bedingungen diktiert.
Entsprechend würde DIE LINKE. eine Regelung begrüßen, die erklärt, dass vertragliche Abmachungen nichtig sind, wenn sie der Schrankennutzung zuwiderlaufen.
Auch müssen unbedingt jene Vervielfältigungen und Digitalisierungen, die für eine digitale Langzeitarchivierung nötig sind, ermöglicht werden.
Und schließlich muss nochmals betont werden: Auch die Infosoc-Richtlinie ist nicht in Stein gemeißelt.
DIE LINKE. hält es vielmehr für sinnvoll, auf die Bedürfnisse moderner Bildungs- und Forschungsprozesse durch eine europäische Anpassung der Wissenschaftsschranke zu reagieren. Wenn man nämlich zu dem Schluss kommt, dass der Rahmen der Infosoc-Richtlinie für die Bedürfnisse der Wissenschaft zu eng ist – und das zeigt sich ja auch bei der Diskussion um verwaiste Werke -, dann ist es sinnvoll, auch in Europa darauf zu drängen, dass für den Bereich Wissenschaft und Forschung Sonderregelungen getroffen werden.
Wir könnten damit zum einen die Durchsetzung in Deutschland erleichtern und zum anderen harmonisierte Regelungen schaffen, die im Bereich der Wissenschaft allemal sinnvoll sind. Wissenschaft ist transnational und sollte auf einer gemeinsamen rechtlichen Basis arbeiten können. Und schließlich verfügt Deutschland über eine leistungsfähige Wissenschaft. Daher könnten mit einer europäischen Wissenschaftsschranke neue Energien für Wissenschaftsentwicklung freigesetzt werden. Auch in diesem Punkt sollte man sich bei der Neuregelung den Empfehlungen Internetenquete für Bildung und Forschung verpflichtet fühlen.
Soweit bekannt, werden vor allem drei Fragen diskutiert:
1. Für welche Werkarten soll die Klausel gelten?
Hier meinen wir: Möglichst für alle. Es gibt keinen sachlichen Grund, einzelne Werkarten auszunehmen, und es ist auch kein Grund erkennbar, warum bei manchen Werkarten die Interessen der Rechteinhaber eher beeinträchtigt sein sollten als bei anderen.
Immerhin enthalten die Empfehlungen der Internetenquete einen Prüfauftrag in Bezug auf Monografien.
2. Soll für die Nutzung eine Vergütung gezahlt werden?
Die Zahlung einer Vergütung ist als angemessener Ausgleich für den Rechteinhaber auch heute schon vorgesehen.
Man wird kaum mehr Rechte und Freiheiten für die Wissenschaft durchsetzen können und dabei zugleich weniger zahlen als bisher. Wichtig wäre aber, dass die Zahlung in einem fairen Verhältnis zur Gegenleistung stehen muss. Wenn eine Bibliothek nur einen kleinen Teil eines Buches für einen abgegrenzten Kreis von UnterrichtsteilnehmerInnen in digitalisierter Form zugänglich macht, dann kann dieser Betrag nicht mit dem Kaufpreis entsprechend vieler gedruckter Exemplare verglichen werden. Vergütungen im Rahmen von Schranken sind nicht dafür da, sämtliche Umsätze zu substituieren, die der Rechteinhaber vielleicht bzw. vermutlich hätte, wenn es keine Schranken gäbe.
Es sollte grundsätzlich beachtet werden, dass die Vergütungen ein fairer Ausgleich für die tatsächlich erfolgte Nutzung sein sollten. Dieser Grundsatz muss auch bei einer allgemeinen Wissenschaftsschranke gewahrt bleiben. Im Sinne der Praktikabilität sind allerdings Pauschalen einer unpraktikablen Einzelerfassung jeder Nutzung vorzuziehen
3. Soll eine Wissenschaftsschranke mit einem Zweitverwertungsrecht für Publikationen gekoppelt sein?
Das scheint rechtssystematisch einigermaßen schwierig. Denn es geht beim Zweitverwertungsrecht um den Schutz des Urhebers. ‚Dieser soll über die Rechte an seinem Werk weitgehend selbst verfügen können. Bei den Schranken wiederum geht es gerade um die Einschränkung dieses Rechts im Interesse der Allgemeinheit.
Beides hat seine Berechtigung, scheint aber schwierig unter ein Dach vereinbar zu sein.
DIE LINKE. befürwortet bekanntermaßen ein unabdingbares Zweitveröffentlichungsrecht. Vielleicht sollte Selbiges aber besser im Urhebervertragsrecht geregelt werden. Aus dieser (eventuellen) Differenz sollte aber kein ernsthafter Hinderungsgrund für eine Einigung in Sachen allgemeine Bildungs- und Wissenschaftsschranke erwachsen.