Schafft gemeinsame Sorge Kooperation?

-Grußwort-

Guten Morgen,

am Anfang dieser Konferenz zu sprechen, ist für mich angesichts des gewählten Themas „Schafft gemeinsame Sorge Kooperation?“ schon eine besondere aber interessante Herausforderung. Da ich nun aber weder Schulterklopferin noch Grußworttante sein will, habe ich mich mit dem Stoff natürlich tiefgründiger befasst und will sowohl Position beziehen als auch diese begründen. An der Frage der gemeinsamen elterlichen Sorge bei unverheirateten Eltern arbeiten sich schließlich auch seit vielen Jahren Juristen und Rechtspolitiker ab. Ich aber bin keine Juristin! Daher kann und werde ich keinen juristischen Grundabriss liefern. Mithin kann ich aber auch davon ausgehen, dass fast jeder Teilnehmende hier aufs Beste über die Rechtsentwicklung der letzten Jahre im Bilde ist.

Nun bin ich zwar stellvertretendes Mitglied im Bundestagsausschuss Familie, Senioren, Frauen und Jugend, der sich ebenfalls intensiv mit diesen Fragen beschäftigt hat, aber ich bin auch keine klassische Familienpolitikerin.

Ich wollte dieses Stellvertretermandat einnehmen, weil wir uns hier in Halle ganz besonders anstrengen müssen, Kindern trotz hoher Armutsrate bessere Chancen beim Aufwachsen und Lernen zu bieten. Als für Halle direkt gewählte Abgeordnete für die Partei DIE LINKE richten sich unter diesem Blickwinkel besondere Erwartungen an mich bei Entscheidungen des Bundestages. Verschärfend kommt noch die dramatische Lage unseres Stadthaushaltes hinzu.

56 Prozent alleinerziehender Elternteile im Land sind von Armut bedroht. Rund 487.700 Kinder lebten in Sachsen-Anhalt 2008 in Familien. 350.200 Familien gibt es hier. Bei Ehepaaren leben 304.800 Kinder. Insgesamt gibt es 213.300 Ehepaare. In Lebensgemeinschaften leben 64.500 Kinder. 46.000 Lebensgemeinschaften mit Kindern sind es insgesamt. Bei Alleinerziehenden leben 118.500 Kinder. Alleinerziehende mit Kindern zählen 90.800. Darunter befinden sich übrigens 9.700 alleinerziehende Väter. Aus dieser Statistik kann man schließen, dass Fragen der elterlichen Sorge bei unverheirateten Eltern in Sachsen-Anhalt eine beachtliche Rolle spielt. Ich selbst bin Sprecherin für Forschungs- und Technologiepolitik der Linksfraktion im Bundestag. Und für manchen liegt’s vielleicht nicht direkt auf der Hand, aber in diesen Themen finden sich auf die vielfältigste, bisweilen überraschendste Weise Fragen wieder, die sich aus Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen ergeben. So erleben beispielsweise Kinder und Jugendliche die Digitalisierung der Gesellschaft als so genannte >digital natives<, während sich meine Generation als >digital immigrants< durch die neuen Technologien schlägt.

Oder Kinder und Jugendliche sind in unglaublich vielen Projekten der Geistes-, Sozial-, Bildungs- und Kulturwissenschaft das erforschte Subjekt. Ich bin also gewissermaßen Quereinsteigerin zum Konferenzthema. Grundsätzlich versuche ich, Wertungen und Entscheidungen im Bundestag aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten, insbesondere aus Sicht der Betroffenen. Bei sozialen Fragen heißt das eben, das Kriterium sollte sich am Wohlergehen derjenigen Menschen ausrichten, denen es am schlechtesten geht. Kein Gewinn für irgendjemand anders kann deren Verlust aufwiegen! Und nach diesem Prinzip habe ich auch die Problematik des Sorgerechts betrachtet. Das Kindeswohl ist das übergreifende Ziel. Glücklicherweise, das habe ich bei meinen Vorbereitungen bemerkt, befinde ich mich da in sicherem Gelände. Das haben Gespräche mit dem familienpolitischen Sprecher unserer Bundestagsfraktion, Jörn Wunderlich, und mit der Sprecherin für Kinder-, Jugend und Familienpolitik der Linksfraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt, Eva von  Angern, gezeigt.

Und selbstverständlich habe ich in der UN-Kinderrechtskonvention nachgelesen. Diese ist ja durch Deutschland ratifiziert worden. Wenn es also der Bundestag wirklich ernst meint mit Kinderrechten und mit der Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention, dann müssen auch alle Gesetze daran ausgerichtet werden. Da bleibt gar kein Spielraum. Kinder sind als Subjekte mit eigenen Rechten anzusehen!

Artikel 3 der Konvention setzt Skeptikern da klare Grenzen, denn dort heißt es: „Bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen getroffen werden, ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt der vorrangig zu berücksichtigen ist.“ Soweit das Zitat. Daher müssen eheliche und nichteheliche Kinder eben gleich behandelt werden. Kinder unverheirateter Eltern dürfen nicht deshalb keinen Anspruch auf beide Elternteile haben, nur weil sich diese nicht für eine „Beziehung mit Trauschein“ entschieden haben. Bei Kindern, die in einer Ehe geboren sind, werden auch beide Elternteile mit der Geburt sorgeberechtigt und sie bleiben es sogar im Falle einer Scheidung.

Es darf keine Kinder oder Väter zweiter Klasse geben. Väter dürfen in ihren Rechten nicht verletzt werden. Väter und Mütter haben vielmehr gleichberechtigte Pflichten und Verantwortung beim Umgang mit ihren Kindern. Übrigens arbeiteten im Amtsgericht Halle schon vor Änderung des Familienrechts die FamilienrichterInnen mit den MitarbeiterInnen des Jugendamtes und mit den in Familienangelegenheiten befassten AnwältInnen zusammen. Dabei vereinbarten diese, dass bei Streitigkeiten, von denen Kinder betroffen sind, sehr schnell eine erste mündliche Verhandlung einberufen wird. Dabei ist erklärtes Ziel, dass Eltern nicht ohne eine Umgangsregelung den Gerichtssaal verlassen. Das halte ich für sehr vernünftig, weil das entsprechende Elternteil schon in diesem Zeitraum für eine Entfremdung sorgen kann. Schließlich ist das ja auch die Phase, in welcher der Konflikt aufbricht und Einfluss von außen entschärfend wirken kann. Die Eltern müssen daran erinnert werden, dass sie nicht nur Paar sind – welches sie im einigenden Sinne ja dann nicht mehr sind, worum es eigentlich und bisweilen Macht demonstrierend auch geht – sondern dass sie Eltern mit Rechten und Pflichten sind. Wenn man es in dieser Zeit vernunftbegabt angeht, sollte ein „Rosenkrieg“ zu verhindern sein.

Die AnwältInnen verpflichten sich, dass sie den Konflikt durch ihre Schriftsätze nicht noch schüren. Das streben manche MandantInnen zwar an, aber dem muss man sich bewusst entziehen. Dafür bedarf es natürlich auf allen Seiten eines ausreichenden Einfühlungsvermögens.

Problem ist zudem in Halle auch, dass es häufig Defizite beim begleiteten Umgang gibt. Es fehlt an Wochenendangeboten. Dafür bedarf es freier Träger, die es organisieren könnten, denen es aber an Geld mangelt. Das schlägt sich meist zum Nachteil der Väter aus, die außerhalb arbeiten oder wohnen.

Fraglich ist für mich ohnehin, ob es überhaupt angebracht ist, begleiteten Umgang zu vereinbaren. Auch in dieser Frage sollte den Vätern, die es ja zumeist betrifft, deutlich mehr Verantwortungsbewusstsein zugetraut werden!

Zurück zur Ebene des Bundestages: Ich habe in den letzten Jahren dort immer wieder verblüfft bemerkt, dass mit beachtlicher Kreativität, selbst ganz klare Sachverhalte oder auch Gerichtsurteile, umgedeutet werden, um sie letztlich eigenen Wertvorstellungen anzupassen. Das gilt nicht nur in Bezug auf Inhalte der Kinderrechtskonvention oder bezogen auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, welches ja den diskriminierenden Inhalt der deutschen Sorgerechtsregelung für nichteheliche Väter festgestellt hat. Das gilt auch für das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zum Sorgerecht vom Sommer dieses Jahres.

Nicht nur Prioritäten werden damit verschoben, nein, es geht eindeutig um Verfügungsgewalt, um Zugriffsrechte, um Einflussmöglichkeiten auf die Wahl von Lebenskonzepten. Das ist auch eine Form von unzulässiger Machtausübung, wie ich finde. Wir leben in einem demokratischen Verfassungsstaat!

Im Falle des Sorgerechtes soll mittels der Kinder gegenüber den Eltern deren konkrete Entscheidung eine Partnerschaft jenseits von Ehe eigenverantwortlich zu gestalten, beeinflusst werden! Ein anderes Lebenskonzept wird in Frage gestellt, wird eingeschränkt. Auf dem Rücken von Kindern soll Druck aufgebaut werden, anders zu leben. Beispielsweise eben in einem tradierten Familienmodell mit Trauschein. Kein Wunder, wenn auch vor diesem Hintergrund, nicht wenige Paare, Ehe als Zwangsgemeinschaft empfinden und sich dieser ganz bewusst entziehen. In diesem Punkt toleriert die Kinderrechtskonvention in ihrer Präambel bereits weltweit verschieden Lebensmodelle. Dort wird nämlich von der Familie als „Grundeinheit der Gesellschaft“ gesprochen. Wohlgemerkt „Familie“! Nicht „Ehe“! Wenn nunmehr im Bundestag eine gesetzliche Neuregelung diskutiert wird, werden diese Fragen der Gestaltung der Partnerschaft ganz sicher erneut eine Rolle spielen.

Wir sollten eher die Beispiele europäischer Nachbarn aufgreifen. Folgenden Vorschlag vertritt der familienpolitische Sprecher DER LINKEN: Gemeinsames Sorgerecht von Geburt an unabhängig vom familienrechtlichen Status der Eltern. Ich unterstütze diesen Ansatz. Dazu sollten die §§ 1626a – e im BGB ersatzlos gestrichen werden. Im Falle einer fehlenden gemeinsamen Erklärung der Elternteile, kann die Elternschafteigenschaft durch Vaterschaftstest bewiesen werden. ((Unter Hinweis auf die entsprechenden Regelungen im FamFG (§169 Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit), welche in den Abstammungssachen nicht nur die Anfechtung der Vaterschaft betreffen.))

Da zunächst festgestellt werden muss, wer die Eltern sind, sollte es bei der Vaterschaftsanerkennung bleiben, die, wenn sie erfolgt ist, automatisch das gemeinsame Sorgerecht nach sich zieht. Gleichermaßen muss jedem Elternteil die Möglichkeit eingeräumt werden, auf Antrag das alleinige Sorgerecht durch Beschluss des Familiengerichts auf einen Elternteil übertragen zu lassen. Und zwar dergestalt, dass sowohl die Möglichkeit besteht, das alleinige Sorgerecht für den anderen als auch für sich selbst zu beantragen. Gelöst werden damit die Problemfälle, in denen ein Elternteil an der gemeinsamen Sorge begründet nicht das geringste Interesse hat und dies den Interessen des Kindes entgegensteht.

So wie Umgang schlecht erzwungen werden kann, kann auch die gemeinsame Sorge schlecht erzwungen werden, wenn der entsprechende Elternteil an dieser kein Interesse hat. Mit dieser Kombi-Lösung aus Antrags- und Widerspruchsmöglichkeit dürften auch die Problemfälle einer angemessenen Lösung zugeführt werden, in denen aufgrund der Vaterschaft zwar Verwandtschafts- und Unterhalts- sowie Erbschaftsansprüche entstehen, eine gemeinsame Sorge jedoch dem Kindeswohl abträglich ist. Nicht zuletzt wird dem Recht des Kindes auf Kenntnis der Abstammung damit Rechnung getragen.