TOP 27) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss)
– zu dem Antrag der Abgeordneten René Röspel, Ulla Burchardt, Dr. Ernst Dieter Rossmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: 20 Jahre Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag –
– zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Josef Fell, Krista Sager, Sylvia Kotting-Uhl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Technikfolgenabschätzung im Bundestag und in der Gesellschaft stärken
– Drucksachen 17/3414, 17/3063, 17/6287 –
—–
-Rede zu Protokoll-
Sehr geerhrte Damen und Herren,
der Radiologe Dietrich Grönemeyer hat jüngst in der Süddeutschen Zeitung zum notwendigen Umdenken in der Wissenschaft nach Fukushima gesagt, dass es dabei nicht um neue Bescheidenheit im Sinne der Begrenzung wissenschaftlicher Neugier gehen könne. Der Forschung Maulkörbe aufzuerlegen sei nicht wirksam und gehe vor allem am Kern des Problems vorbei.
Was also ist das Problem, auf das uns menschliche und ökologische Tragödien wie in Fukushima oder auf der Tiefseebohrinsel Deepwater Horizon stoßen? Das Problem, meine Damen und Herren, ist die einseitige Beantwortung von gesellschaftlichen Herausforderungen durch technologische Großprojekte. Deren Lösungskompetenz wird alleine an der Ingenieursleistung gemessen. Zudem ist damit aus meiner Sicht oft ein anderes Problem eng verwoben: Das häufig durchschaubare, aber nicht sichtbar gemachte ökonomische Interesse einflussreicher Lobbygruppen. Technikbegeisterung und ökonomische Profite für partikulare Gruppen sind seit Beginn des bürgerlichen Zeitalters mächtige Verbündete gewesen. Den Nimbus der Aufklärung haben sie aber längst verloren und werden nicht erst seit heute mit Forderungen zur ökologischen Nachhaltigkeit und sozialer Gerechtigkeit konfrontiert. Trotzdem fördert diese Bundesregierung Projekte wie aus einer anderen Zeit.
Sie unterschlägt dabei gefährlich oft, dass Großprojekte ja große Probleme lösen wollen, weshalb eine technische Lösungsmatrix nicht ohne ein entsprechendes Gegenüber in der sozialen und politischen Wirklichkeit auskommt. Aus diesem Grunde hat DIE LINKE immer das totale Schadensrisiko und die ungelöste Endlagerfrage der Kernkraft kritisiert, das Milliarden-Euro-Grab ITER abgelehnt und ausreichende öffentliche Erforschung der Risiken der Nanotechnologien eingefordert. Aktuelle beunruhigende Ergebnisse zur Umweltgiftigkeit von Nanosilber zeigen beispielsweise, dass auch hier eine Zeitbombe tickt.
Was also leider zu häufig in der Politik fehlt, ist eine umfassende Technikfolgeabschätzung des Einsatzes von unbekannten oder mit einem bekannten gewissen Risiko ausgestatteten Materialien, Technologien oder Instrumenten.
Ehrgeizige Projekte wie Kernkraftwerke am Meeresufer in Fukushima, die alles an Hochtechnologie und High-Tech-Material aufbietenden Tiefseebohrinseln aber auch die finanzmathematisch komplexen und sich auf die Wirtschaft ganzer Staaten katastrophal auswirkenden Finanzderivate – sie alle lehren uns, dass hier wenig über soziale und ökologische Folgeprobleme oder Krisenvorsorge nachgedacht worden ist.
Sie lehren uns schließlich auch, dass Technologieförderung von Glaubenssätzen getragen wird und nicht primär vom wissenschaftlichen Fortschritt. Wenn die Technologien zu Störfällen werden, dann im Kern häufig nicht aufgrund von Technikversagen. Sondern, weil sie ohne ausreichende Vorsorge angelegt und überhaupt nur eingesetzt werden, weil die politisch Verantwortlichen die Welt einseitig betrachten und sich der rationalen Begutachtung von sozio-ökologischen Risiken verweigern.
Nun ist wissenschaftliche Politikberatung in letzter Zeit begehrt wie nie, wie die von der Regierung eingesetzte Ethikkommission zur Zukunft der Energie in Deutschland zeigt. Sie wird zugleich heftig angegangen. An der Stellungnahme der Akademie der Wissenschaften Leopoldina zum zukunftsfähigen Energiemix in Deutschland und der Empfehlungen des Ethikrats für eine begrenzte Zulassung der Präimplantationsdiagnostik entzündete sich eine öffentliche Debatte, ob Wissenschaft überhaupt Politik beraten sollte. Von Entmachtung der Politik durch ihre Verwissenschaftlichung war die Rede. Umgekehrt beklagten Forscherinnen und Forscher, die andere Auffassungen als die aufgezeigten Studien vertreten, eine Politisierung des Wissenschaftsbetriebs. Was beide Seiten übersehen, ist, dass die genannten Tendenzen zwar etwas über die – ja gerade gewollte – Bedeutung des einen Bereichs für den jeweils anderen sagen. Deswegen aber noch lange nicht über dessen Arbeitsweise. Wissenschaft soll unterschiedliche Blickwinkel, Deutungsmöglichkeiten jenseits von tradierten Pfaden und Verantwortung für Folgekosten aufzeigen, die alle die Meinungsbildung von Politikerinnen und Politikern unterstützen. Sie soll aber natürlich nicht politische Entscheidungen ersetzen: Politisch kann man entscheiden, ein Risiko einzugehen, wenn die Gefahren beherrschbar und die erwarteten gesellschaftlichen Gewinne groß erscheinen. Nur soll kein Abgeordneter sagen können, er oder sie hätte es nicht anders gewusst.
Das Büro für Technikfolgenabschätzung, das im Mittelpunkt der heute debattierten Anträge steht, kann einer Diskussion um wissenschaftliche Unabhängigkeit hervorragend standhalten. Das liegt an seiner besonderen Anlage. Denn es wird von einem außeruniversitären Forschungsinstitut betrieben, das alleine über Personalfragen entscheidet. Weder Regierung noch Bundestag können sich da einmischen. Den Ruf der Unabhängigkeit hat sich das TAB in den letzten 20 Jahren erarbeiten und halten können. Entsprechend sind viele seiner Stellungnahmen in die parlamentarische Bearbeitung geflossen und auch für die Fachöffentlichkeit eine begehrte Referenz. Es hatte sichtbare Anstöße gegeben dafür, Energiespeichermedien als Vorbedingung für erneuerbare Energien zusätzlich zu fördern, das Potenzial transgener Pflanzen nicht zu überschätzen und Risikoforschung zu Nanotechnologien ernsthaft anzugehen. Zudem macht das große Interesse an öffentlichen Fachgesprächen wie zuletzt zu Perspektiven eines großflächigen Stromausfalls, den Bundestag verstärkt zum Ort für vorausschauende gesellschaftliche Debatten.
Vor diesem Hintergrund ist es mir völlig unverständlich, weshalb sich die Christdemokraten seit Jahren weigern, das Budget des TAB aufzustocken. Es erhält seit seiner Gründung erstmals eine kleine Steigerung. Dennoch wird sich nicht grundsätzlich an der Tatsache etwas ändern, dass zwei Drittel der von Ausschüssen und Fraktionen eingereichten Anträge vom TAB nicht bearbeitet werden können. Gerade in Zeiten multipler Krisen müsste es über alle Fraktionsgrenzen hinweg einen Konsens darüber geben, dass Technikfolgeabschätzung unsere Zukunft sichert! Wenn Politik und gerade christlich-konservative Politik seriös sein will, sollte sie beiden Anträgen zustimmen.