Wissenschaftsförderung wird in erster Linie als Wirtschaftsförderung praktiziert

Zusatzordnungspunkt 4)  Beratung des Antrags der Bundesregierung: Ausnahme von dem Verbot der Zugehörigkeit zu einem Aufsichtsrat für Mitglieder der Bundesregierung, Drs. 17/6670
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Meine Damen und Herren!

Wir führen diese Debatte in einer Zeit, da längst öffentlich über die Zukunft der Zivilgesellschaft, den sozialökologischen Umbau, ja sogar die Systemfrage diskutiert wird. Wie auch immer die Antworten ausfallen mögen, eines ist sicher: Das bisherige einseitig technologieorientierte Wachstumsmodell ist an seine Grenzen gestoßen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aller Disziplinen können, wollen und müssen die systemischen Zusammenhänge ebenjener vielfältigen Krisen, vor denen wir jetzt stehen, komplex bearbeiten. Es geht am Ende um nichts Geringeres als um Erkenntnisse, wie leistungsfähigen, solidarischen und demokratischen Gemeinschaften sowie Menschen ein würdevolles Leben ermöglicht und nachfolgenden Generationen ein lebensfähiger Globus erhalten werden kann.

Daran muss sich das, was Sie hier vorlegen, messen lassen. Dabei fordert die Linke, dass mit den Milliarden öffentlicher Forschungsmittel, die Sie gerade gepriesen haben, konsequent gemeinnütziges Wissen erarbeitet und eine verantwortungsvolle Technikfolgenabschätzung betrieben wird.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das machen wir doch!)

– Nein, genau das machen Sie nicht. –

Mit Blick auf den Haushalt stellt man fest, dass die Bundesregierung die Zeichen der Zeit eben nicht verstanden hat. Wissenschaftsförderung wird in erster Linie immer noch wie Wirtschaftsförderung praktiziert. Die Anteile der deutschen Industrie auf dem Weltmarkt bilden für Sie immer noch den Dreh- und Angelpunkt Ihrer Förderpolitik. Ein jüngst von den Hochschulverbänden veröffentlichtes Thesenpapier kritisiert zu Recht genau diesen Umstand. Sie kritisieren dort die rasante Ökonomisierung von Wissenschaftseinrichtungen und die immer stärker geförderte Inszenierung und Vermarktung wissenschaftlicher Erkenntnisse. Immer weniger Themen werden nämlich wissenschafts- und gesellschaftsbestimmt ausgewählt und bearbeitet.

Der Erkenntnisgewinn der Wissenschaft – so heißt es in dem Thesenpapier weiter – soll sich auf den Menschen, seine sozialen Lebensformen sowie die ihn umgebende Natur und Technik beziehen. Sie soll sich an das „Alltagsleben“ der Menschen ankoppeln und als „Forschung für den Menschen“ erkennbar sein. Dietrich Grönemeyer hat dazu unlängst geschrieben: An der Neugier und an der Begeisterungsfähigkeit der Wissenschaftler, an ihrer Bereitschaft, dem Fortschritt ein ganz neues Ansehen zu geben, wird es nicht fehlen. Lassen Sie mich das am Beispiel der Gesundheitsforschung illustrieren. Herr Haustein hat sie eben erwähnt. An großen Volkskrankheiten soll verstärkt geforscht werden. Das ist gut so. Um aber eine unvoreingenommene Erprobung neuer Produkte und Verfahren zu gewährleisten, bedarf es in diesem Programm zugleich einer viel breiteren Förderinitiative für nichtkommerzielle klinische Studien. Unabhängiges Herangehen bringt neue Impulse für Wissen und für die Wirkung von Therapien, für die Erkundung von Seuchen, von Krankheitsursachen und vor allem für die Erkenntnis über ihre Verknüpfung mit sozialen Umständen.

(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das machen wir doch!)

– Nein, das machen Sie nicht. Sie haben 800 Millionen Euro in eine Pharmainitiative gesteckt. Das Geld bekommen also jene Konzerne, die seit Jahren Gewinne in Milliardenhöhe einfahren.

Was tun die Konzerne gegenwärtig? Sie fordern noch mehr Geld und reduzieren gleichzeitig ihre eigenen Forschungsausgaben. Das passt doch nicht zusammen. Demzufolge wird für nichtkommerzielle klinische Studien immer weniger Geld übrig bleiben. Es sollen nur noch mickrige 30 Millionen Euro in diesem Bereich eingesetzt werden. Das halten wir für gänzlich inakzeptabel.

(Beifall bei der LINKEN)

Klinische Studien können bekanntermaßen nur mit Patientinnen und Patienten realisiert werden. Das ist logisch. Also sollen in die neuen Zentren für Gesundheitsforschung bei der Helmholtz-Gemeinschaft Uniklinika eingebunden werden. Das ist ein interessanter Gedanke, immerhin behandeln sie Tausende von Patienten auf medizinisch höchstem Niveau. Das Problem ist nur: Die finanzielle Situation beider Akteure ist gänzlich verschieden.

Die Hochschulmedizin in unserem Land ist dramatisch unterfinanziert. Sie müsste endlich ihren Investitionsstau überwinden können, und sie müsste zugleich den Kostendruck in der Krankenversorgung überwinden können. Die neuen Millionen sollten aus unserer Sicht weniger für neue Strukturen, als vielmehr zur Mobilisierung der vorhandenen Potenziale in Universitätsklinika eingesetzt werden, um weitere Forschungspotenziale zu erschließen. Dazu müsste man allerdings gemeinsam mit den Ländern schnelle Lösungen finden. Statt also satte Pharmakonzerne noch satter zu machen, hätte man, wie es die Linke seit Jahren fordert, die Uniklinika stärken müssen, indem man dort investiert.

(Beifall bei der LINKEN)

Noch eine Anmerkung zu unserer Kritik an der Gesundheitsforschung aus globaler Sicht. Es geht mir um armutsbedingte Krankheiten. Meistens sind sie chronisch, sie sind oft nicht tödlich und sie grassieren vor allem dort, wo es Hunger, Armut, mangelnde Hygiene sowie schlechte bis gar keine medizinische Versorgung gibt. Im Gesundheitsforschungsprogramm taucht nun der Bereich Impfstoffentwicklung auf. In der Tat bieten neue, beispielsweise in Berlin an der Charité entwickelte Verfahren zu Bekämpfung von TBC – übrigens entwickelt mithilfe öffentlicher Mittel – neue Chancen für die Betroffenen. Deshalb sehen wir Deutschland als eines der reichsten Länder, aber eben auch die Pharmakonzerne in der Verantwortung zur Umsetzung der UN-Millenniumsziele; denn diese beinhalten unter anderem, dass Impfstoffe und Therapien genau jene Menschen erreichen müssen, die sie am dringendsten brauchen, sie sich aber am wenigsten leisten können. Was ist unsere Forderung an die Bundesregierung? Unsere Forderung an die Bundesregierung ist, dass man mit derartigen Förderprojekten endlich für faire und gerechte Lizenzen sorgt, Lizenzen, die es ermöglichen, dass die Produkte bei den Betroffenen ankommen und dass sie für die Entwicklungsländer auch wirklich bezahlbar sind.

(Beifall bei der LINKEN)

Vor allem aber müssten deutlich mehr Mittel zur Lösung globaler Gesundheitsprobleme eingesetzt werden. Sie haben in Ihrem Haushalt lediglich 20 Millionen Euro vorgesehen, aber nicht etwa für das nächste Jahr, sondern auf vier Jahre verteilt. Auch das ist angesichts unseres Reichtums schlicht und ergreifend beschämend. Lassen Sie mich zum Schluss kommen, meine Damen und Herren. Gesundheit bestimmt unmittelbar und individuell Lebensqualität. Das weiß jeder von uns; jeder hat seine Erfahrungen damit gemacht. Versäumnisse in der Forschung von heute gefährden Menschen und Gesellschaften von morgen. Die Erde ist rund. Krankheiten machen nicht vor Staatsgrenzen hält. Aus diesem Grund können wir nur Erfolge erzielen, wenn wir konsequent global handeln und kooperativ vorangehen. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.