Expertengespräch zu Bildung und Forschung bei der Internetenquete
„Wissenschaft wird digital, egal ob wir mitmachen oder nicht“, so Dr. Heike Neuroth im Expertengespräch zu Bildung und Forschung der Enquetekommission „Internet und digitale Gesellschaft“ am vergangenen Montag. Die von der LINKEN eingeladene Leiterin der Abteilung Forschung und Entwicklung der Universitätsbibliothek Göttingen begründete die Digitalisierung der Wissenschaft damit, das Forschung in allen Disziplinen immer gruppenorientierter, globaler und technikbasierter abläuft. Das gilt nicht nur für die Kernphysik und den Teilchenbeschleuniger am CERN, dessen Daten 10 000 Forscherinnen und Forscher aus rund 100 Ländern kooperativ auswerten, sondern beispielsweise auch für die Astronomie mit ihren Sternwarten, die Computerlinguistik oder vergleichende Literaturwissenschaften, wie die Bibelforschung, die große Textmengen automatisiert abgleichen und bearbeiten.
In dem Expertengespräch ging es darum, wie Internet und Digitalisierung Wissenschaft verändern und um den Stand der Internetforschung in Deutschland. Breite Einigkeit herrschte bei den geladenen Expertinnen und Experten dabei darüber, dass beide Herausforderungen allumfassend und weniger in einzelne Fachdisziplinen aufgespalten betrachtet und angegangen werden müssen.
Um bei der fortschreitenden Vernetzung und Digitalisierung der Forschung mithalten zu können, braucht es den Aufbau der entsprechenden Infrastruktur. Die Vernetzung der gesamten Wissenschaft im Bereich der Arbeitsplattformen und eine weitgehende Digitalisierung möglichst frei zugänglicher Forschungsdaten stehen aber erst am Anfang und sind durch den Staat als Geldgeber der Forschung nicht abgesichert.
Auch die digitale, kostenfrei zugängliche Publikation von Forschungsergebnissen (Open Access), die viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wollen, braucht mehr rechtliche und finanzielle Unterstützung der öffentlichen Hand. Die Linksfraktion wird hierzu noch im November einen Antrag in den Bundestag einbringen.
Dr. Neuroth erfuhr die Zustimmung ihrer Expertenkollegen, dass hierbei Wissenschaft und Forschung selbst definieren sollen, welche Formen der Digitalisierung fachübergreifend wie fachspezifisch gebraucht werden. Dazu sollten vor allem die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler selbst nach ihren Bedürfnissen befragt werden, so Neuroth. Nicht zuletzt muss auch die Schulung für die Nutzung der sogenannten Virtuellen Forschungsumgebungen gewährleistet sein. Hierfür forderte Neuroth die Einrichtung neuer Ausbildungs- und Studiengänge wie beispielsweise eine Qualifizierung als „Data-Librarian“.
Auch Prof. Manfred Broy vom Institut für Informatik der TU München sprach seinen Kollegen aus der Seele, als er feststellte, bisher würde in Deutschland nicht ausreichend darüber geforscht, was Vernetzung und Digitalisierung für die Gesellschaft bedeuten. Er forderte deshalb den Aufbau eines in Deutschland bislang nicht existierenden zentralen Instituts, an dem fachübergreifend alle Forschungsthemen rund um Internet und Digitalisierung behandelt werden.
Ähnlich argumentierte Prof. Otfried Jarren vom Institut für Medienforschung der Universität Zürich. Zwar existieren unzählige kleinteilige Forschungen zum Internet in Deutschland existieren, Längs- und Querschnittsstudien aber fehlen. Jarren schlug vor, verschiedene, mit einander vernetzte Kompetenzzentren für Internetforschung einzurichten. Weiter forderte er gezielte Nachwuchsförderung, da insbesondere jüngere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihre alltägliche Lebenserfahrung in der digitalisierten Gesellschaft besser in die Internet-Forschung einbringen könnten und sollten. Prof. Peter Henning vom Institute for Computers in Education der Hochschule Karlsruhe vertrat die Ansicht, das die Digitalisierung vermehrt Einzug auch in die kindliche Bildung finden müsse, da bereits Kleinkinder durch die Erfahrungen zuhause mit den Smartphones, Spielekonsolen oder Smart-TVs der Eltern und Geschwister mit der Digitalisierung in Berührung kommen.
Dazu Petra Sitte, forschungspolitische Sprecherin der LINKEN im Bundestag: „Um diese wünschenswerten Ziele umzusetzen, braucht es ein Umdenken in der Bildungspolitik von Bund und Ländern. Dauerhaft arbeitende Kompetenzzentren und nachhaltige Nachwuchsförderung funktionieren auch beim Thema Internet und Digitalisierung nur mit einer belastbaren und verstärkten Grundfinanzierung von Bildung und Wissenschaft.“
Ungeteilte Zustimmung bei den eingeladenen Expertinnen und Expertinnen erfuhr die Forderung von Dr. Frank Simon-Ritz aus dem Vorstand des Deutschen Bibliotheksverbands, der dringend dafür plädierte, einen Schutzraum für Bildung und Forschung im Urheberrecht zu schaffen. Die LINKE im Bundestag teilt diese Position seit Langem. Sie hat deshalb in ihrem Antrag zur Urheberrechtsreform im Juli 2011 die Einführung der sogenannten Wissenschaftsschranke vorgeschlagen, die besondere Freiheiten im Umgang mit urheberrechtlich geschützten Werken für Bildung, Wissenschaft und Forschung vorsieht.