Geschlechtergerechtigkeit in Wissenschaft und Forschung

 

TOP 6) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Agnes Alpers, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE sowie der Abgeordneten der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Geschlechtergerechtigkeit in Wissenschaft und Forschung (Drucksachen 17/5541, 17/7756)

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Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

Herr Braun, so ist das eben: Was des einen Decke, ist des anderen Fußboden.

Die Bundesregierung will Deutschland zu einem Land der Ideen machen. Da kann man nur sagen: Gut so, weiter! Immer arbeiten. Aber warum wollen Sie in diesem Prozess auf die Ideen von so vielen kreativen Frauen verzichten? Machen wir in diesem Tempo weiter – das geht aus der Antwort auf die Große Anfrage hervor, dann wird es gerechte Verhältnisse für Frauen in der Wissenschaft und Forschung eben erst am Ende des Jahrhunderts geben. Ich wollte es aber eigentlich schon noch erleben.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bereits vor 17 Jahren hat der Bundestag beschlossen, die Teilhabe von Frauen an Beratungsgremien auf Bundesebene zu erhöhen. Darunter sind auch knapp 100 einflussreiche wissenschaftliche Beiräte. Was zeigt sich jetzt nach 17 Jahren? Weniger als ein Viertel der Mitglieder dieser Beiräte sind Frauen. In einigen Gremien – Frau Schieder hat es ja schon gesagt – sind bis heute gar keine Frauen. Das ist eine interessante Entwicklung und ein ganz toller Erfolg.

Man fragt sich: Wieso konnte das überhaupt so kommen? ? Das ist so gekommen, weil die Beschlüsse von damals schlicht und ergreifend zu unscharf, zu unverbindlich waren. Sie hatten die Qualität von weichgespülten und dadurch eben auch vielfach wirkungslosen Selbstverpflichtungen.

Was ist die Folge davon? Es fehlen vielen Empfehlungen aus diesen Beratungsgremien der spezifische Blickwinkel von Frauen und die spezifische Bewertung von Frauen.

Was heißt das wiederum weiterführend? Ich bringe ein Beispiel: das Gesundheitsforschungsprogramm. Förderprogramme, wissenschaftliche Methoden sind nach unserer Auffassung dort zu eng ausgelegt. Es ist zu technikzentriert, und es wird zu wenig auf die Spezifik von Frauen bezogen geforscht.

Nun haben sich Bund und Länder auf ein sogenanntes Kaskadenmodell geeinigt. Quoten sollen entsprechend dem Frauenanteil der jeweils vorausgehenden Stufe in der Karriere des Wissenschaftssystems einordnen. Wenn dieses Modell konsequent umgesetzt werden soll, dann muss auch mit Anreizen gearbeitet werden, und es muss vor allem endlich auch einmal mit Sanktionen gearbeitet werden, wenn ein Ziel nicht erreicht wird.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Wir denken, dass das Kaskadenmodell allemal ausbaufähig ist. Aber es ist immerhin ein erster Schritt hin zu mehr Gerechtigkeit in der Wissenschaft. Bislang galt die Maxime, Frauen fit für die Institutionen zu machen. Jetzt sind sie fit für die Institutionen. Und was ist mit den Institutionen? Sie sind nicht fit für die Frauen. Deshalb muss man sie eben fit für die Frauen machen.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das heißt: Weg mit den ollen, verfilzten Puschen! Förderprogramme und Imagekampagnen des Bundesministeriums beispielsweise in den Naturwissenschaften sind allemal sinnvoll; Sie selber haben das erwähnt. Aber erst wenn auch die strukturellen Barrieren in den Institutionen fallen, hören Frauen auf, über diese ollen, blöden, verfilzten Puschen zu stolpern. Immerhin liegt der Anteil von Frauen bei den Promotionen zum Beispiel im mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich bereits heute bei 40 Prozent; das ist ein interessanter Befund der vom BMBF herausgegebenen Studie. Das entspricht nun fast dem Durchschnitt aller Wissenschaftsbereiche und bei den Juniorprofessuren. Aber wie hoch ist der Anteil der Frauen bei den Professuren insgesamt? Er liegt bei peinlichen 18 Prozent. Bei den höher dotierten Stellen sind es sogar nur 11 Prozent. Das kann ja wohl nicht angehen.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wissenschaftssystem ist also noch immer höchst ungerecht und bietet Frauen und Männern bei gleicher Leistung eben nicht die gleichen Perspektiven. Das gilt, Herr Braun, insbesondere für die außeruniversitären Bereiche; für die ist der Bund verantwortlich. Die Quoten könnten aus unserer Sicht zusätzlich gestärkt werden. Wir schlagen vor, sie mit dem Hochschulpakt zu verknüpfen. Das heißt, wenn man das Soll erfüllt, dann kann man mehr Mittel rekurrieren. Wenn es nicht erreicht wird, sollte man Mittel abziehen. Das Gleiche kann man bei der institutionellen und projektorientierten Forschungsförderung des Bundes machen. Man kann auch diese an die Erfüllung des Gleichstellungskonzepts binden.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass damit echte Innovationsschübe ausgelöst werden können.

Wir brauchen weiterhin transparentere Personalentscheidungen. Wir brauchen familienfreundlichere Arbeitsbedingungen und mehr wissenschaftliche Selbstständigkeit im Mittelbau, also für den Nachwuchs. Die von Frau Schieder geschilderte Qualität der Beschäftigung von Frauen insbesondere im wissenschaftlichen Mittelbau, also im Nachwuchsbereich, ist ein Skandal.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nicht einmal in der Leiharbeit sind die Bedingungen so schlecht wie für Frauen im Wissenschaftsbereich. Das kann nicht angehen. Deshalb sind wir der Meinung, dass man zwar nicht mit den Befristungen generell, wohl aber in dieser spezifischen Form aufhören muss. Wenn 58 Prozent der Betroffenen in diesem Bereich Verträge haben, die weniger als ein Jahr gelten, dann kann man nicht von verlässlicher Planung sprechen.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir brauchen Mindestvertragslaufzeiten und müssen 10 000 unbefristete Stellen im akademischen Mittelbau einrichten, wenn wir unser Ziel erreichen wollen. Diese Stellen sollen dann ruhig mit Männern und Frauen  gleichermaßen besetzt werden.

Abschließend möchte ich sagen: Deutschland ein Land der Ideen? –  Wunderbar! Zeigen Sie sich endlich auch bei der Gleichstellung von Frauen im Wissenschaftssystem ideenreich! Das wäre ein echter Fortschritt.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)