Die Gesellschaft zeigt andere Erwartungen an Sicherheit als die Bundesregierung

TOP 13) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag der Koalitionsfraktionen „Forschung für die zivile Sicherheit“ 

—–

– Rede zu Protokoll –

Sehr geehrte Damen und Herren,

bei der Debatte des vorliegenden Koalitionsantrags im Ausschuss hob Staatssekretär Rachel hervor, dass immerhin 20 Prozent der Mittel für die gesellschaftswissenschaftliche Forschung ausgegeben werden. Das war u. a. an uns adressiert. Denn seit Beginn der Förderlinie im BMBF verlangt DIE LINKE, dass zunächst die Nachfrage nach Sicherheit und Quellen von Unsicherheit in der Bevölkerung wissenschaftlich geklärt werden, bevor man Millionen Steuergelder in teure Überwachungskonzepte und in eine gut prosperierende Industrie steckt.

Ich sehe bei den 20 Prozent keinen Grund zum Feiern. Im Umkehrschluss gehen fast 200 der bewilligten 240 Millionen Euro in Technologieentwicklung oder technikzentrierte Infrastrukturprojekte. Das Programm bedient weiterhin in erster Linie das selbsterklärte Ziel der Markterschließung für die Sicherheitswirtschaft. Zu wenig trägt es aber dazu bei, die hoheitliche Aufgabe‚Sicherheit‘ mit Hilfe aktueller Forschungserkenntnisse zu durchdenken und zu modernisieren. Denn, dass man in europäischen Gesellschaften beim Thema Sicherheit mit dem bislang dominanten Blick der Ingenieure und IT-Spezialisten nicht weiterkommt, haben die gescheiterte Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung und das Nacktscanner-Desaster ausreichend deutlich gemacht.

Wohin die Reise gehen kann, machen aber gerade aktuelle Ergebnisse der BMBF-geförderten gesellschaftswissenschaftlichen Forschung deutlich. Beim ‚Innovationsforum Sicherheit‘ des BMBF im April dieses Jahres machten ForscherInnen unter anderem klar, dass Unsicherheit für die allermeisten Menschen mitnichten von Lieblingsthemen der Koalition wie Terroranschläge, organisierte Kriminalität oder Krankheitsepidemien bestimmt ist. Sicherheitserwartungen richten sich vielmehr auf Alltagsdelikte wie Diebstahl und Störungen der öffentlichen Ordnung, auf Unsicherheitskulissen wie schlecht beleuchtete Bahnhöfe etc. Mehrere Forschungsteams fanden heraus, dass es die Kommunikation und Bilder von Unsicherheit sind, die das Sicherheitsempfinden maßgeblich beeinflussen. Mit der faktischen Unsicherheitslage vor Ort, die man in Kriminalstatistiken nachschlagen kann, hat das subjektive Empfinden hingegen wenig zu tun. Positiv ausschlaggebend ist aber sehr wohl die soziale Sicherheit wie gutes Auskommen und gut ausgebaute zivilgesellschaftliche Netzwerke. Hier also sollte ein vorsorgender Staat wirklich ansetzen!

Auch beim Thema Krisenbewältigung haben ForscherInnen den Ministerien Hausaufgaben mitgegeben. So gäbe es zurzeit weder ausreichend Wissen noch Willen in Behörden für eine gute Risikokommunikation im Krisenfall. Pate steht hier die Schweinegrippe und unnötige Millionenausgaben für Impfstoffe, die am Ende keiner haben wollte und niemand brauchte. Der Grund dafür lag nicht zuletzt darin, dass die traditionell hierarchische Kommunikation der Behörden die soziale Dynamik im Internet völlig außen vor ließ und dringend nötiges Vertrauen verspielt hat.

Die Forschung empfiehlt hier eindeutig mehr Transparenz, weniger Allwissenheit und den Dialog mit den Bürgern über Vorgehensweisen der Behörden beispielsweise via Web 2.0. Zur Selbsthilfe fähige und widerstandfähige Bürger, die ja ganz oben auf der Agenda der Katastrophenschützer stehen, erhalte man nur, wenn man ihnen auf Augenhöhe begegnet und an Prozessen beteiligt, so das Credo.

Das neue Rahmenprogramm für Sicherheitsforschung verspricht „Sicherheitslösungen so zu gestalten, dass sie die Bedürfnisse, Bedenken und Erwartungen der BürgerInnen berücksichtigen“. Die Schwerpunktsetzung des auslaufenden Programms hat das nicht geleistet, so mein Fazit. Ob es die neue besser vermag, hängt stark damit zusammen, ob gewonnene Forschungsergebnisse tatsächlich in die Ministerien zurückgespiegelt werden. Das betrifft insbesondere das mitunter neue Verständnis davon, wie Sicherheit und Unsicherheit im Alltag reflektiert werden. Mehr Beteiligungskultur und Bedarfsorientierung statt Hinterzimmerpolitik mit Lobbyisten ist nach wie vor die größte Herausforderung beim Thema zivile Sicherheit.