TOP 45) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Flexibilisierung von haushaltsrechtlichen Rahmenbedingungen außeruniversitärer Wissenschaftseinrichtungen (Wissenschaftsfreiheitsgesetz – WissFG), Drucksachen 17/10037, 17/10123)
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Nach drei Jahren – drei Jahren! – Ankündigung legen Sie uns nun acht dünne Paragraphen vor. Das Ganze nennen Sie dann noch schicksalsträchtig „Wissenschaftsfreiheitsgesetz“. Wow! Das eigentliche Anliegen des Gesetzes aber wird sofort mit dem ausführlichen Titel „Gesetz zur Flexibilisierung von haushaltsrechtlichen Rahmenbedingungen außeruniversitärer Wissenschaftseinrichtungen“ wieder geerdet. Am Ende handelt es sich genaugenommen um nichts anderes als die Flexibilisierung von Regelungen, die in den jährlich vom Bundestag zu beschließenden Haushaltsgesetzen und in der Bundeshaushaltsordnung ohnehin zu fixieren sind und fixiert worden sind. Hinzu kommt, dass fast alle Regelungen, die das neue Gesetz enthalten soll? Frau Ministerin hat das gesagt?, bereits seit Jahren quasi auf dem Verordnungswege untergesetzlich praktiziert werden.
Tatsächlich soll durch dieses Gesetz schnöde Deregulierungspolitik mit Verfassungsrhetorik verschleiert werden. Das bedeutet konkret: Sowohl dem Parlament als auch der Regierung werden wieder einmal Gestaltungsmöglichkeiten entzogen. So stellt sich für mich unweigerlich die Frage: Sind Sie hier eigentlich zum Regieren oder zum Delegieren angetreten?
(Beifall bei der LINKEN – Tankred Schipanski (CDU/CSU): Zum Deregulieren!)
Wie kontraproduktiv dieser Deregulierungsansatz sein kann, haben wir längst in anderen Politikfeldern kennengelernt. Wir kennen es von den Finanzmärkten und den Energiemärkten sowie aus der Beschäftigungspolitik. Wir erleben aber gerade in diesen Fällen deutlich gegenläufige Tendenzen, nämlich dass man versucht, die Verantwortung wieder in die öffentliche Hand zurückzuholen.
Auch in den Forschungseinrichtungen selbst dürften die Bewertungen je nach Platz im System höchst unterschiedlich ausfallen. Dass die Leitungen der Einrichtungen die freie Hand begrüßen, ist doch wohl logisch. Wenn der Frosch gefragt wird, ob er noch Wasser im Teich haben will, wird er immer sagen: Ja, ich möchte bitte noch Wasser.
(Beifall bei der LINKEN)
Was das aber aus Sicht der vielen Beschäftigten in der Wissenschaft bedeutet, ist in diesem Gesetz offensichtlich nicht beachtet worden. Ansonsten lassen sich nämlich die Widersprüche nicht erklären. Diesen will ich mich in meiner Rede widmen. Dazu kann ich sehr gut an die Ausführungen von Herrn Hagemann anknüpfen.
Meine Damen und Herren, das Gesetz sieht vor; ich zitiere: Im Bereich Haushalt wird die Einführung von Globalhaushalten angestrebt.
Daraus folgt – das ist völlig richtig, dass Haushaltsmittel für verschiedene Zwecke eingesetzt sowie über Jahresgrenzen hinweg erhalten, angespart und entsprechend verplant werden können. Das ist so neu nicht, wird eigentlich schon seit Jahren praktiziert. Damit soll den Einrichtungen dann unter anderem mehr Autonomie eingeräumt werden.
Mehr Autonomie? Ich erinnere an die Debatten zum Thema „Autonomie“. War da nicht irgendetwas? Was da war, zeigen die gerade laufenden bundesweiten Debatten um bereits deregulierte Hochschulen. Dort ist Autonomie eingeräumt worden, allerdings nicht mit einem Mehr an Demokratie. Das hat zu intransparenten, einseitigen und ungerechten Entscheidungen über die hochschulinterne Ressourcenverteilung geführt. Hat sich in diesem Zusammenhang nicht auch gezeigt, dass es damit zur Beschneidung von Wissenschafts- und Lehrfreiheit kam und dass sich umgekehrt auch die Situation von Lehrenden und Studierenden verschlechtert hat? Personalvertretungen kritisieren allenthalben, dass es ihnen immer schwerer fällt, ihre Interessen zu vertreten. Studierende, aber auch der wissenschaftliche Nachwuchs haben so gut wie keine Stimme in den gewählten Gremien. Wir Linke sagen: Ja, mehr Autonomie ist in Ordnung, wenn Wissenschaft am Ende auch demokratischer gestaltet wird.
(Beifall bei der LINKEN – Tankred Schipanski (CDU/CSU): Wird sie auch!)
Wie wichtig das wird, zeigt ein weiterer Flexibilisierungsvorschlag des Gesetzes; denn es soll zukünftig auf die Ausweisung von Stellenplänen ganz verzichtet werden können. Das wichtigste Fazit aus unseren Ausschussanhörungen zur Nachwuchsentwicklung und zur Gleichstellung in der Wissenschaft lautete: Ohne verbindliche und nachhaltige Personalentwicklung werden keine Verbesserungen zu erreichen sein. ? Wie bitte soll das alles ohne Stellenpläne gehen? Wie will man denn eine effektive und demokratische Kontrolle an den Einrichtungen organisieren? Wie will das Ministerium Fehlentwicklungen überhaupt bemerken. Wir haben es ja vorhin gehört: Sie wissen nicht einmal, wie viele Personen promovieren, wie viele die Promotion abgebrochen haben und dergleichen mehr.
Es hat Fehlentwicklungen gegeben. Wir Linke haben gerade eine Kleine Anfrage gestellt; da hat es sich gezeigt. Schauen wir auf die prekäre Stipendienpraxis für Promovierende und Postdocs an den von Ihnen zitierten Max-Planck-Instituten. Da werden mehr und mehr Promotionsverfahren eröffnet, weil sich über Stipendien natürlich auch Gehalts- und Lohnnebenkosten senken lassen. Da fallen Promovierte, wohlgemerkt: Promovierte, schon einmal direkt vom Stipendium in Hartz IV, weil Stipendiaten nicht in Sicherungssysteme wie die Arbeitslosenversicherung einzahlen,
(Tankred Schipanski (CDU/CSU): Das hat doch mit diesem Gesetz nicht das Geringste zu tun!)
und zwar in den Fällen, in denen erhoffte Drittmittel aus der Auftragsforschung ausbleiben und die jeweilige Einrichtung aus ihren Haushalten keine Gelder zur Verlängerung der Projekte aufbringen kann.
Die von Herrn Hagemann zitierte Petition der jungen Nachwuchswissenschaftler der Max-Planck-Gesellschaft kann doch nur als Ohrfeige für die Leitung der Max-Planck-Gesellschaft verstanden werden. Immerhin bekommt sie jedes Jahr 5 Prozent mehr Mittel.
(Beifall des Abg. Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE))
Die taz hat sogar getitelt: „Aufruhr im Eliteclub“. Wir hoffen, dass mehr als 1 300 Unterstützern und Unterstützerinnen der Fair Pay Petition reichen, um Verbesserungen zu erzielen.
(Beifall bei der LINKEN)
Ja, meine Damen und Herren, halten wir es nochmals fest: Der Haushalt kann ohne Stellenpläne flexibler verwaltet werden. Aber auf wessen Kosten? Auf Kosten der jungen Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler.
(Tankred Schipanski (CDU/CSU): Eine Unterstellung ist das!)
Ich halte das für Raubbau an der Zukunft der Einrichtungen.
(Beifall bei der LINKEN)
Es muss auch niemanden mehr wundern, wenn diese jungen Leute bessere Chancen in anderen Ländern sehen und Deutschland verlassen.
(Tankred Schipanski (CDU/CSU): Daher wollen die Amerikaner zu uns!)
Was könnte man in dieser Situation von der Bundesregierung konkret erwarten? Man könnte zum einen erwarten, dass die Mittelvergabe für die Globalhaushalte an Mindeststandards für Promovierende und Postdocs gebunden wird.
(Beifall bei der LINKEN)
Die Bundesregierung könnte weiterhin das Wissenschaftszeitvertragsgesetz ändern. Dort kann man Mindestlaufzeiten für Verträge festschreiben. Zum anderen kann man den Tarifpartnern ermöglichen, in Aushandlungen über gesetzliche Mindeststandards zur Befristung von Arbeitsverträgen in der Wissenschaft hinauszugehen. Das ist dann deren Geschichte. Dafür müsste man aber die Tarifsperre aufheben.
Zu diesen Verbesserungen im Interesse der Nachwuchswissenschaftler ist die Koalition bis heute nicht bereit. Stattdessen ? Herr Hagemann hat es angedeutet ? wollen Sie auf die Spitze des Eisberges noch eine Schippe packen und das sogenannte Besserstellungsverbot einschränken. Was bedeutet das konkret? Möchte eine Einrichtung einen Spitzenwissenschaftler gewinnen oder an der eigenen Einrichtung halten, darf sie diesem dauerhaft übertarifliche Sonderzahlungen aus Drittmitteln gewähren und ihn damit deutlich besserstellen als seine Kolleginnen und Kollegen. Als hätte diese Praxis nicht gerade erst der Bundesrechnungshof umfassend kritisiert, soll das jetzt sogar noch gesetzlich sanktioniert werden. Ich finde, diese Ignoranz können wir uns als Bundestag nicht gefallen lassen.
(Beifall bei der LINKEN)
Die Deregulierung bringt jenen an der Spitze des Systems mehr Sicherheit und bessere Gehälter. Den Promovierenden und den Leistungsträgern im Mittelbau hingegen werden immer größere Unsicherheit und Zuwendungen zugemutet, die oftmals nahe am Existenzminimum liegen. Mir haben einige gesagt: Wenn ich nicht eine Frau hätte, die als Ärztin gutes Geld verdient, könnte ich nicht an dieser Einrichtung forschen. ? Mich macht diese Ungerechtigkeit im Umgang mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern einigermaßen fassungslos.
Es sollte versucht werden, Gesetzgebung gerecht zu gestalten,
(Beifall bei der LINKEN)
auch deshalb, weil vermeintlich exzellente Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihre Leistungsfähigkeit nur in Zusammenarbeit mit motiviertem, gut bezahltem wissenschaftlichem Nachwuchs entwickeln können.
Fazit: Wer exzellente Forschung möchte, muss auch für exzellente Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen sorgen. Damit ist der Freiheit der Wissenschaft weit mehr gedient.
Danke.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)