Petra Sitte hat heute bei „Zeit Online“ einen Gastbeitrag zum Thema Urheberrecht veröffentlicht, den wir hier dokumentieren. Der Original-Artikel mit Hintergrundinfos und Verweisen findet sich hier.
In der Debatte ums Urheberrecht scheint es mindestens drei Problemfelder zu geben. Erstens: Das finanzielle Auskommen der Urheberinnen und Urheber ist abgesehen von einigen wenigen Superstars prekär. Zweitens: Die Medienindustrie beklagt sich über illegales Downloaden und Kopieren, sieht sich um Umsätze und Gewinne gebracht, prangert eine „Gratiskultur“ im Internet an. Und drittens: Nutzerinnen und Nutzer sehen sich durch das geltende Urheberrecht immer wieder eingeschränkt in ihren digitalen Möglichkeiten, Werke zu verbreiten, zu teilen, und weiterzuverarbeiten.
Wer sich die drei Problemfelder genauer anschaut, merkt schnell, die Problemfälle eins und drei, also auf Seiten von Urheberinnen und Urhebern, Nutzerinnen und Nutzern sind real.
Fall zwei, das Wehklagen der Medienindustrie aber scheint mindestens grob übertrieben. Sicher, die Umsätze und Gewinne im Gesamtmarkt steigen nicht mehr paradiesisch. Der Werbemarkt zeigt starke Einbußen. Aber gerade im Digitalbereich kompensieren die wachsenden Einnahmen immer besser die Rückgänge in den analogen Märkten. Branchenriesen wie der Springerkonzern verkünden Rekordgewinne. Wer die Umsatzzahlen der Medienindustrie mit den angeblichen Verlusten durch Raubkopien vergleicht, merkt schnell, hier gehen, wenn überhaupt, potentielle Mehreinnahmen im kleinen einstelligen Prozentbereich verloren. Wobei alle zu vergleichenden Zahlen nur Schätzungen der Industrie selbst sind.
Belastbarer sind andere Werte: Nutzerinnen und Nutzer geben immer mehr Geld für den Kreativbereich aus. Nicht zwingend für einzelne Werkzusammenstellungen wie das ehrwürdige Musikalbum oder eine ganze Tageszeitung. Aber für einzelne Artikel, Podcasts, Songs. Und für Abonnements im Digitalen wie im Analogen, bei Streamingdiensten, Blogs und Zeitschriften. Vor allem aber für die Geräte, mit denen sie die Werke konsumieren und weiternutzen. Und auf die meisten dieser Geräte zahlen Nutzerinnen und Nutzer pauschale Urheberrechtsabgaben.
Es kommt also viel Geld an im Kreativmarkt. Aber nicht bei den Kreativen. Weil Verlage, Plattenfirmen, aber auch Youtube und alle alten und neuen Contentaggregatoren tunlichst vermeiden, Urheberinnen und Urheber anständig zu bezahlen. Die erfolglosen Bemühungen von Urheberverbänden und Politik um angemessene Vergütung und ein durchsetzungsstarkes Urhebervertragsrecht zeugen hiervon. Darüber hinaus versuchen die Aggregatoren – wie aktuell im Fall des Streits um Ausschüttungen der VG Wort an Autorinnen und Autoren sowie Verlage zu sehen ist –, auch noch Geld aus dem Urhebertopf abzuzweigen.
Natürlich gibt es gerade kleine Verlage und Labels, die sich bemühen, das alles anders zu machen. Und natürlich gibt es Leistungen wie Lektorat, Studioproduktion und so weiter, die ein kreatives Werk erst zu dem machen, was es ist. Doch all diese guten und notwendigen Mehrwerte der Contentindustrie ändern unterm Strich nichts an der Tatsache, dass vom vielen Geld der Nutzerinnen und Nutzer zu wenig bei den Kreativen ankommt.
Dieses viele Geld fließt in den Markt, obwohl es Raubkopien gibt, obwohl die digitalen Möglichkeiten des Sharings und der Weiternutzung (oft gegen geltendes Recht) aktiv genutzt werden. Es steht also nicht zu erwarten, dass eine dringend notwendige Legalisierung zeitgemäßer und kreativer Werknutzung (die sogenannten Nutzerrechte) diesen Geldfluss zum Versiegen bringen könnte.
Genau hier krankt die Argumentation für die Einführung einer gesetzlich verbindlichen Kulturflatrate zusätzlich zu den bestehenden Bezahlsystemen. Aktuell würde sie nur noch mehr Geld von den Nutzerinnen und Nutzern abziehen und in einen Markt pumpen, in dem massig Geld steckt aber bei den Falschen hängen bleibt.
Innerhalb der bestehenden Systeme sollte es vielmehr darum gehen, eine faire Umverteilung zu organisieren, also Urheberinnen und Urheber endlich angemessen an den Umsätzen der Branche zu beteiligen. Sie in ihrer Verhandlungsmacht gegenüber den Medienkonzernen stark zu machen. Die LINKE hat deshalb in den vergangenen Monaten eine Reform des Urhebervertragsrechtes öffentlich diskutieren lassen und will das Ergebnis als Gesetzentwurf im Herbst in den Bundestag einbringen.
Was damit allerdings noch nicht gelöst sein wird, ist ein ganz altes Problem des Marktes für kreative Werke, dass auch zu vordigitalen Zeiten bestand. Die Superstars erzielen exorbitante Gewinne, die Masse der Kreativen darbt. Wer letzteres ändern will, muss sich überlegen, ob professionell produzierte Kunst und Kultur ausschließlich marktorientiert vergütet werden sollen.
Doch auch hier könnten bereits im bestehenden Vergütungssystem einige Dinge zum Besseren verändert werden. Solange über die Verteilung aller längst existierenden Kulturflatrates wie GEMA-Lizenzen für Clubs, Diskotheken oder Radios und die Geräteabgaben für erlaubte Privatkopien in den Verwertungsgesellschaften in erster Linie die Topverdiener entscheiden und den Medienkonzernen auch hier noch einmal etwas abgegeben wird, bleibt die Verteilung der Einnahmen höchst ungerecht. Deshalb bedarf es dringend demokratischer Reformen in den Verwertungsgesellschaften. Kreative müssen angemessenen Einfluss auf die Verteilungsströme haben. Und Geld, das für Urheberinnen und Urheber gedacht ist, sollte ihnen und nicht der Industrie zukommen. Auch zu diesem Punkt möchte die LINKE im Herbst Handlungsvorschläge unterbreiten.
Wollen wir allerdings weitergehen, als nur die Ungerechtigkeiten des bestehenden Systems einzudämmen, müssen wir mehr verändern, als die Verteilung der Gelder zwischen Konzernen und Kreativen. Mithin müssen wir fragen, inwieweit sich kreative Leistung nur durch Publikumserfolg bemessen lässt oder ob sie uns nicht an sich etwas wert ist.
Wenn wir diese Frage mit Ja beantworten, könnte eine neue, die alten Systeme weitgehend ersetzende Pauschalvergütung helfen. Sie wäre dann in der Tat eine Art Grundeinkommen für Künstlerinnen und Künstler. Die geschaffenen Werke müssten dann fairerweise ebenso pauschal als Gemeingüter allen, nicht nur als Privatkopie, zur Weiternutzung zur Verfügung stehen. Und dann stellt sich die Frage, ob es sinnvoll und gesamtgesellschaftlich fair ist, eine solche Commons-Ökonomie nur im Kreativbereich zu realisieren. Im schlimmsten Fall eskaliert hier eine unsägliche Neiddebatte. Im besten Fall wäre der Startschuss für ein großes gesamtgesellschaftliches Umdenken abgegeben.
Wobei, eine solche Grundsicherung haben wir längst im einen oder anderen Bereich. Die aus öffentlichen Geldern bezahlten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an unseren Hochschulen sind solche von uns allen gesponserte Kreativarbeiter. Das gleiche gilt (wenn auch in geringer Höhe) für die vielen Sportsoldatinnen und die Athleten aus anderen Maßnahmen staatlicher Sportförderung. Auch die Verpflichtung, öffentliche Gebäude mit Kunst auszustatten, ist eine solche existierende Subvention, genauso wie die vielen Millionen Filmförderung.
Der Kreativmarkt, wie er heute reguliert ist, hilft weder den Kreativen noch den Nutzerinnen und Nutzern. Andere Regulierungen könnten daran spürbar etwas ändern.
Wenn Kunst und Kultur für uns in einer Wissensgesellschaft aber den Stellenwert einer Universität oder eines Wettkampfstützpunktes einnehmen soll, müssen wir darüber nachdenken, wie wir ihr eine Sphäre jenseits des Marktes schaffen wollen. Bei Forschung und Sport klappt das – mal schlechter, mal besser – sogar als Paralleluniversum neben dem freien Wettbewerb.
Dass ein solches Umdenken, gerade wenn es autoritär von oben durchgesetzt wird, schnell zu Bürokratiemonstern und Klüngelwirtschaft führt, lehrt die Erfahrung. Hier braucht es gesamtgesellschaftliche Diskussionen und wahrscheinlich verschiedene Lösungsansätze. Genau deshalb ist von einer Gießkannenmaßnahme wie einer gesetzlich verordneten zusätzlichen Pauschalabgabe namens Kulturflatrate tunlichst abzuraten.
Spannend und unterstützenswert dagegen ist es, parallel zur Diskussion um eine Ausweitung der Grundsicherung für Wissenschaft und Sport auf Kunst und Kultur neue Vergütungsmodelle in freiwilligen Communities auszuprobieren und so durch ihren möglichen Erfolg andere mitzureißen. Die selbstorganisierte Gründung einer Verwertungsgesellschaft für Werke unter Creative Commons-Lizensierung oder eine selbstbestimmte Umsetzung der offen und modular konzipierten Kulturwertmark des Chaos Computer Clubs durch interessierte Kreative und deren Fans könnten so etwas leisten.