TOP 10) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über befristete Arbeitsverträge in der Wissenschaft
(1. WissZeitVG-ÄndG) > Drucksache 17/12531 <
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Zu Ihrem Gesetzentwurf, geehrte Kolleginnen und Kollegen der SPD, kann ich Sie nur beglückwünschen. Immerhin wollen Sie die problematischsten Regelungen aus dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz korrigieren. Das ist dringend notwendig. Das Besondere daran ist, dass Sie an diesem Problem einen eigenen Anteil haben.
Bereits 2002 wurde unter Ministerin Bulmahn die sachgrundlose Befristung für den wissenschaftlichen Nachwuchs eingeführt. Fünf Jahre später haben Sie diese dann mit dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz rechtlich betoniert. Bis zu Ihrer heutigen Einsicht, dass diese Regelungen in die falsche Richtung gehen, hat sich beinahe eine ganze Generation junger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler damit herumschlagen müssen, hat sich von Vertrag zu Vertrag bis an die berüchtigte Zwölfjahresgrenze heranhangeln müssen.
Nun gut, wir wollen nicht nachtragend sein und nur zurückschauen,
(Swen Schulz (Spandau) (SPD): Danke! Danke!)
sondern tapfer nach vorne schauen. Da fällt unser Blick auf die Evaluierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes. Sie haben diese Studie schon erwähnt. Diese hat die Realität des wissenschaftlichen Prekariats in diesem Land schonungslos offengelegt. Sie haben selber erwähnt, dass über 90 Prozent der Verträge befristet sind und weit über die Hälfte dieser Verträge kürzer als ein Jahr dauern.
(Agnes Alpers (DIE LINKE): Genau!)
Das muss man sich einmal vorstellen: im Wissenschaftsbereich! Solche Laufzeiten haben mit den einstigen Begründungen des Gesetzgebers für die Befristung überhaupt nichts mehr zu tun.
(Tankred Schipanski (CDU/CSU): Deswegen haben wir das auch geändert!)
Weder Promotionen noch Habilitationen noch Drittmittelprojekte haben derart kurze Laufzeiten.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Das Befristungsunwesen an unseren Hochschulen und Instituten hat sich mittlerweile völlig verselbständigt. Dieser Missbrauch gesetzlicher Möglichkeiten hat überhaupt keine wissenschaftsgeleiteten, sondern ausschließlich finanzielle Gründe. Ministerin Wanka hat dieses Phänomen unlängst im Ausschuss ironisch, aber völlig zutreffend als haushalterisches Sicherheitsbedürfnis der Hochschulen und Forschungseinrichtungen bezeichnet.
(Tankred Schipanski (CDU/CSU): Das hilft uns der vorliegende Gesetzentwurf nicht weiter!)
Mit befristetem Personal lässt sich natürlich viel flexibler umgehen als mit dauerhaft Beschäftigten.
(Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP): Frau Sitte, Sie wissen es doch besser!)
– Ich weiß es sehr genau. Das sagt jetzt der Richtige. Lieber Gott, da wird über Jahre ignoriert, was passiert,
(Tankred Schipanski (CDU/CSU): Stimmt doch gar nicht!)
und jetzt sagen Sie mir, ich wüsste es besser. Ja, ich weiß es besser als Sie. Das sage ich einfach.
(Beifall bei der LINKEN)
Je kürzer also die Verträge, desto beweglicher ist die personelle Verschiebemasse. Das ist der Punkt. Dieser zynischen, aber eben auch rationalen Logik folgt das Wissenschaftsmanagement – erst recht in Zeiten explodierender Drittmittel oder Exzellenzwettbewerbe. Diese provozieren geradezu kurzfristige Reaktionen auf Ausschreibungen. Damit ist der Arbeitsplatz Wissenschaft ziemlich unattraktiv geworden. Wen heute der Wunsch, zu forschen und zu lehren, treibt, der oder die ist gezwungen, sich auf diese Arbeitsbedingungen einzulassen, sich quasi auszuliefern. – Gott sei Dank aber nicht mehr widerstandslos, denn der Widerstand hat sich geregt und organisiert.
(Beifall bei der LINKEN)
Nur 27 Prozent der befristet Beschäftigten an den Hochschulen zeigte sich zufrieden mit der Arbeitsplatzsicherheit – so viel zu besagter Studie, Herr Tankred Schipanski.
(Tankred Schipanski (CDU/CSU): Ich habe die Studie auch gelesen!)
Noch negativer wurden die Planbarkeit der Berufswege, die Aufstiegsmöglichkeiten und erst recht die Familienfreundlichkeit bewertet. Ich habe schon die abenteuerlichsten Geschichten über Kettenverträge, gestückelte Verträge oder auch über Menschen gehört, die ganz ohne Bezahlung an den Universitäten und Hochschulen unterrichten, nur um ihre Lehrberechtigung zu behalten. Viele von ihnen kippen dann durchaus in Hartz IV.
Aber diese Koalition ficht das, wie wir gerade gehört haben, überhaupt nicht an. Sie will trotz dieser alarmierenden Signale am Wissenschaftszeitvertragsgesetz gar nichts ändern. Ihr fast vergessener Antrag zur Nachwuchsentwicklung, der immerhin einige wenige untergesetzliche Regelungen vorsah, schmort seit gut einem Jahr im parlamentarischen Verfahren.
(Tankred Schipanski (CDU/CSU): Ich habe Ihnen gerade erzählt, dass das alles aufgenommen wurde, Frau Sitte! – Agnes Alpers (DIE LINKE): So viel zum politischen Handeln!)
Meine Damen und Herren, ich möchte abschließen. Es liegt auf der Hand: Diese vier Jahre Schwarz-Gelb waren für den wissenschaftlichen Nachwuchs in diesem Land vier verlorene Jahre.
(Beifall bei der LINKEN – Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP): Erfolgreiche Jahre! Gute Jahre!)
Nutzen Sie den Gesetzentwurf der SPD, um daran etwas zu ändern.
Danke schön.
(Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)