(Foto von Chris Murphy, Lizenz: cc-by-nc-nd)
Eine programmatische Skizze für die Broschüre „Zukunft ist ein kulturelles Programm“ der LINKEN im Bundestag. Die komplette Broschüre kann hier als PDF heruntergeladen werden.
Aus den Mündern konservativer Kultur- und Medienpolitiker, von Vertretern insbesondere der großen Medien- und Unterhaltungskonzerne (in beiden Fällen sind es meist Männer), aber auch von vielen Kreativen selbst war jahrelang das Klagelied der »Kostenloskultur im Internet« zu hören. Das Publikum wurde dabei gern als Raubkopierer und Verbrecher beschimpft, das nicht mehr ins Kino ging oder CDs kaufte, sondern sich Filme und Musik »einfach so« und illegal im Internet besorgte.
Interessant ist, dass die selbe Rhetorik gegen das eigene Publikum schon vor bald hundert Jahren verwendet wurde, als das Radio erstmals Tonträgern zur Konkurrenz wurde und nochmals als vor bald 40 Jahren Kassettenrecorder dann aber endgültig drohten, der Musikindustrie das Genick zu brechen. Diese Verteufelung veränderten Konsumverhaltens in der kommerziellen und weitgehend industrialisierten Medien- und Kulturwirtschaft aber versperrt den Blick auf eine Vielfalt an Entwicklungen und Bereichen, die Kultur und Medien und damit eine sie betreffende Politik ausmachen:
Unter dem Begriff »Medienwandel« können wir deutlich beobachten, dass technologische Entwicklung Kultur und Medien immer wieder aufs Neue herausfordern und verändern. Das Kino hat das Theater umgewälzt, das Fernsehen das Kino, die Videokassette beide, die DVD die letzten drei. Und während die Industrie versucht, uns an Blu-Ray zu gewöhnen und es zwischendurch noch ganz andere Filmträgerformate gab, werden Filme und Theateraufzeichnungen aus dem Netz gestreamt, gedownloadet. Es gibt interaktive Formen, die Film und Theater online durch das Publikum beeinflussbar machen.
Alles wird sich ändern und das war schon immer so. Technik und damit Kulturproduktion lässt sich nicht auf einen Status Quo einfrieren. Entsprechend sollte Politik auch die Folgen dieses permanenten Wandels begleiten, statt ihn zu verhindern.
Der technologische Wandel, ausgehend von den Innovationen in der Papierherstellung und der Druckerpressen in der frühen Neuzeit hat zunächst dazu geführt, dass sich Kunst- und Medienproduktion vom Mäzenatentum der Adligen befreien konnte. Der technologische Fortschritt hat bereits damals Produktionsbedingungen vereinfacht und Produktionskosten soweit reduziert, dass es einer breiteren Schicht möglich war, in Kulturproduktion zu investieren. Technikinnovation hat einen Markt für Kunst und Medien erst möglich gemacht. Doch schon in den Anfängen der Druckrevolution ging es darum, diese Innovation politisch so zu reglementieren, dass die Investitionen in diesen neuen Markt sich auch refinanzieren. Sogenannte Raubkopien begleiten Kultur- und Medienschaffen von Beginn an. Und entsprechend entstanden Kopierschutzmechanismen wie Druckersiegel, Wasserzeichen oder die Angabe von Druckorten aber auch politische Reglementierungen wie Druckerprivilegien und später Urheberrechte und noch später Leistungsschutzrechte.
Dabei gab es aus linker Sicht schon immer ambivalente Beziehungen: Das sogenannte Volkstheater zum Beispiel war einerseits im 19. Jahrhundert ein wichtiger Ort von Herrschaftskritik und Emanzipation, gleichzeitig waren es auf Profit getrimmte, privatwirtschaftliche Unternehmungen, die von der Publikumsgunst und von billigen Produktionsbedingungen abhingen. Kein Wunder also, dass ein Großteil der dort gespielten Stücke Satiren auf Basis von bekannten Werken waren. Das Handlungsgerüst wurde kostengünstig von der »hohen Kunst« kopiert, publikumswirksame Derbheit und politische Positionierung gewinnbringend ins bestehende Material eingefügt. Die Autoren der Originalstücke sahen dabei eher selten Tantiemen.
Und während die Schallplattenfirmen und Grammophonhersteller sich und die von ihnen vertriebenen Musikerinnen und Musiker im vorigen Jahrhundert durchs Radio enteignet sahen, entwickelte Brecht seine Radiotheorie, in der jede und jeder zum Sender werden kann, die mediale Öffentlichkeit also endlich eine Chance auf Demokratisierung erhielt.
So ist auch das Internet nicht nur Ort der schnellen Downloads, sondern hat zunächst einmal Raum geschaffen für kritische Gegenöffentlichkeiten. Zur Meinungsmacht der etablierten Medienlandschaft aus eher konservativen Medienhäusern, privaten Rundfunk- und TV-Anbietern sowie von den großen Volksparteien beeinflussten Öffentlich-Rechtlichen Sendern gesellten sich, Stichwort »indymedia«, ab Mitte der 1990er Jahre zunehmend unabhängige, kritische (und linke) Berichterstattungen im Netz. Der vorläufige Höhepunkt dieser Entwicklungen war wohl beim G8-Gipfel in Rostock 2007 zu sehen, als globalisierungskritische Aktivistinnen und Aktivisten die Mainstreammedien mit Informationen, Hintergrundreportagen und vielem mehr versorgten und so durch die Aneignung der digitalen Kommunikationsmittel erst dafür sorgten, dass die ein oder andere Gegenstimme zum »embedded Journalism« der Bundesregierung zu hören war.
Bis heute sind Anti-Castor-Proteste begleitet von Online-Berichterstattung aus der Szene heraus, die neben klassischen Formaten wie Artikel und Webradio gerade auch die Echtzeitvernetzung der Demonstrierenden über soziale Netzwerke nutzt und so das Geschehen nicht nur kritisch dokumentiert, sondern immer wieder spontane Protestformen erst möglich macht.
Diese Form widerständiger Mediennutzung ist dank derselben technologischen Entwicklungen möglich, die es erlauben, Zeitungsartikel, Filme, Musik im Netz unkontrolliert zu verbreiten. Für eine erfolgreiche Vermarktung dieser Produkte der Kultur- und Medienbranche aber ist Kontrolle unabdingbar. Während der technologische Wandel vor 500 Jahren erstmals die Chance barg, durch günstigere Produktion aus Mäzenatentum einen Markt zu machen, hat ebendiese Rationalisierungsbewegung mittlerweile dazu geführt, dass die Marktfähigkeit von Kunst und Kultur wieder ins Wanken gerät. Denn was beliebig kopierbar ist, kann kaum teuer verkauft werden.
Bisher laufen alle Vorschläge, Kopierbarkeit einzuschränken und so künstlich einen Markt für Kultur und Medien aufrecht zu erhalten darauf hinaus, dass im Internet Überwachungsmaßnahmen implementiert werden müssten (oder werden). Dies gefährdet die Potentiale kritischer Gegenöffentlichkeit massiv.
Das Recht auf Anonymität und auf Privatsphäre, das im Briefgeheimnis beispielsweise für demokratische Gesellschaften im Analogzeitalter konstituierend wirkt, wird fürs Internet immer wieder gerade aus Richtung der Unterhaltungsindustrie angegriffen. Um Urheberrechtsverletzungen ahnden zu können, sollen Internetnutzerinnen und -nutzer nur noch mit Klarnamen agieren dürfen und es jederzeit verdachtsunabhängig möglich sein zu kontrollieren, welche Daten sie im Netz verbreiten. Am besten soll diese Überwachung nicht nur den Polizeibehörden, sondern gleich der Industrie selbst erlaubt sein.
Die Erhaltung marktwirtschaftlicher Rahmenbedingungen dürfen gerade aus linker Sicht kein Grund sein für derartig elementare Eingriffe in Grund- und Menschenrechte.
Entsprechend hat sich DIE LINKE im Bundestag auch bisher konsequent solchen Vorhaben verweigert und wird dies auch künftig tun. Wir stellen uns gegen Netzsperren, Vorratsdatenspeicherung und verwandte Überwachungsmaßnahmen und streiten für ein neutrales Netz.
Vor allem aber ist das Klagen über die »Kostenloskultur« im Internet mit Vorsicht zu genießen. Die Umsatzeinbußen der Musikindustrie gehen vom Rekordumsatz der Branche vor der Jahrtausendwende aus, als die Plattenfirmen den Konsumentinnen und Konsumenten all die Dinge erneut auf CD verkauften, die diese bereits auf Schallplatte besaßen. Auch so lässt sich ein technologischer Wandel ausnutzen.
Die Umsatzeinbußen der Zeitschriftenverlage sind nicht ursächlich auf die Digitalisierung zurückzuführen, sondern verlaufen seit 20 Jahren erstaunlich konstant, ohne sichtbare Dramatisierung seit dem Durchbruch der Digitalisierung vor frühestens 15 Jahren. Und wie sich eBooks auf den Buchmarkt auswirken, ist gerade für Deutschland noch gar nicht ausgemacht. Gleichzeitig verdienen die großen Konzerne der Branche weiterhin viel Geld. Axel Springer beispielsweise hatte 2012 einen Rekordumsatz. Zwar betont der Verlag, dass dieser Erfolg nicht mit ihren medialen Kernangeboten, sondern mit Dienstleistungsportalen und Werbung erzielt wurde, andererseits ist die Querfinanzierung von Medienangeboten eine lang etablierte Praxis. Der Verkaufspreis einer Zeitung deckte in der Regel schon immer ungefähr die Vertriebskosten, alle weiteren Kosten wurden über Anzeigen und andere Produkte finanziert. Und überall dort, wo bequeme Bezahlmöglichkeiten existieren, zahlen die Konsumentinnen und Konsumenten auch fleißig Geld für Produkte aus dem Bereich Kultur und Medien.
Fakt allerdings ist, dass dieses Geld kaum bei den Kreativen selbst ankommt. Das war allerdings auch vor dem Internet in der Breite kaum anders. Und wenn heute zum Beispiel im Musikbereich legale Downloadplattformen und Streamingdienste immer mehr Nutzerinnen und Nutzer zum Bezahlen für kreative Inhalte im Internet bewegen, darf nicht vergessen werden, dass von diesem Geld das Wenigste bei den Musikerinnen und Musikern ankommt. Die Verteilung der Einnahmen aber wurde mit den Plattenfirmen ausgehandelt, im ein- oder anderen Fall sind diese sogar Mitbesitzer der Online-Dienste.
Überall dort, wo Marktwirtschaft also (noch oder wieder) profitabel ist im Kultur- und Medienbereich, muss es aus LINKER Sicht deshalb darum gehen, die Kreativen gegenüber den Verwertern zu stärken, ganz gleich ob es die alten Medienkonzerne oder neue Player im Internet sind. Dafür haben wir 2012 einen umfassenden Vorschlag zur Verbesserung des Urhebervertragsrechts im Bundestag vorgelegt, der Urheberinnen und Urheber endlich eine angemessene Vergütung für jede kommerzielle Verwertung ihrer Werke ermöglichen soll. Dafür brauchen die Kreativschaffenden mehr Selbstbestimmung über die Verwertungsechte an ihren Werken und ein durchsetzungsstarkes Verfahren für die kollektive Aushandlung gemeinsamer Vergütungsregeln.
Weiter hat DIE LINKE im Bundestag einen Vorschlag zur Reform der Verwertungsgesellschaften vorgelegt, der zum Ziel hat, die Strukturen zu demokratisieren, Transparenz zu schaffen und den Kreis derjenigen, die über die Verwertungsgesellschaften Geld bekommen, auf die Kreativen selbst zu konzentrieren.
Nichtdestotrotz zeigt die lange Sicht auf die historische Entwicklung der Kultur- und Medienproduktion und den dazugehörigen technologischen Wandel, dass das Reduzieren von Kultur und Medien auf marktwirtschaftliche Prinzipien nicht naturgegeben ist. Um der einseitigen Reduzierung der Kreativbranche auf dem freien Markt zu begegnen, braucht es besondere Anstrengungen und das wird künftig eher schwerer als einfacher.
Linke sollten dies aber mehr als Chance denn als Risiko begreifen. Und wir sollten nicht vergessen, dass wir auch im Analogen vielfältige Formen von Kultur- und Medienproduktion kennen, die jenseits des Marktes funktionieren. Die Kunstförderung der öffentlichen Hand und das Prinzip des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sind hier gern genannte Beispiele. Aber auch die Filmförderung, die unter anderem mit Steuermitteln auch Hollywoodproduktionen finanziell absichert, zeigt, dass Kultur und Medien schon immer mehr als nur freie Wirtschaft und doch etwas anderes als feudales Mäzenatentum waren.
Auch waren Kultur und Medien schon immer mehr als Medienkonzerne und Hochkultur. So wird es zum einen künftig Aufgabe linker Medienpolitik sein, an der Seite der Kreativen für faire Bedingungen in der Kreativwirtschaft zu kämpfen, ohne dabei die emanzipativen Potentiale des Internets zu gefährden und Grundrechte einzuschränken.
In einem zweiten Schritt muss es auch darum gehen, die öffentliche Sphäre der Kultur- und Medienlandschaft wieder stärker zu fördern. Rundfunkorchester, Stadttheater und Musikschulen sind elementarer Bestandteil einer lebendigen Kulturlandschaft. Journalismus muss nicht nur bei den alten Verlagshäusern gedeihen, sondern hat eben auch seinen öffentlich-rechtlichen Platz. Hier wie dort allerdings gilt: Das Prinzip der Staatsferne muss gewahrt und erneuert werden. Und wenn die Produktion von Kultur und Medien vorab durch Gebühren oder Steuern finanziert wird, steht den Bürgerinnen und Bürgern ein besonderes Recht auf freizügige Nachnutzung der Produktionen zu.
Zuletzt wird es, parallel zu den genannten zwei, einen dritten Schritt brauchen: Wir brauchen Rahmenbedingungen für Laienkultur, Bürgermedien, den Off-Bereich. Und wir müssen vorbereitet sein, wenn es »der Markt« an dieser oder jener Stelle nicht mehr so richtet, wie bisher.
Genau deshalb diskutieren wir in der LINKEN über neue Finanzierungsmodelle wie die sogenannte Kulturwertmark oder die verschiedenen Modelle der Kulturflatrate. Genau deshalb fordern wir Testläufe und Projektphasen, um diese Dinge auszuprobieren. Deshalb beobachten wir genau, wie sich Crowdfunding entwickelt.
Hinter all diesen Modellen steht die Idee, statt der schwierigen Refinanzierung von Kultur und Medien durch den Verkauf fertiger Produkte, die Produktion auszufinanzieren und damit die Nutzung der geschaffenen Werke freizügiger zu gestalten.
Schließlich ist die Kultur- und Kreativbranche Vorreiter für ein zentrales Problem der postindustriellen Gesellschaft, auf die wir uns rasend zubewegen und in der wir in weiten Teilen unserer urbanen Ballungsräume schon stecken. Mögliche und für ein Gemeinwesen notwendige Arbeit ist ohne Ende vorhanden, insbesondere im sozialen und kulturellen Bereich. Aber kaum einer ist da, der sie anständig bezahlen will. Gleichzeitig wird in der weitgehend automatisierten Produktion von physischen Gütern viel Geld verdient. Dieses Geld aber landet gemeinsam mit den Gewinnen des Finanzkapitalismus in den Händen von immer weniger Menschen. Wir müssen also insgesamt, aber insbesondere auch für die kulturelle Vielfalt, die Umverteilung des Wohlstands durchsetzen. Dazu gehört die offene Diskussion über die unterschiedlichsten Formen finanzieller Grundsicherung.