Wissenschaftszeitvertragsgesetz hat keine Rechtssicherheit oder mehr unbefristete Stellen geschaffen

TOP 38. a) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über befristete Arbeitsverträge in der Wissenschaft > Drucksache 17/12531 <; Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung > Drucksache 17/14186 <

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem Anträgen der Fraktionen DIE LINKE. und  BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN > Drucksachen 17/6488, 17/11044, 17/7773, 17/14186 <

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung > Drucksachen 17/9396, 17/6336, 17/4423, 17/4203, 17/12116 <

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– Rede zu Protokoll –

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich möchte zu Beginn den treffenden Satz des Kollegen Tankred Schipanski von der Unionsfraktion zitieren. Er sagte stellvertretend für seine Fraktion im Ausschuss: „Die beiden zentralen Probleme für den wissenschaftlichen Nachwuchs sind die ausufernde Befristungspraxis mit immer kürzeren Laufzeiten und die mangelnden Berufsperspektiven.“ Mit dieser Analyse hat er völlig recht. Das Problem ist nur: diese Einsicht bei der Koalition kommt zu spät. Und: sie führt nicht zu einer politischen Kursänderung. Vier Jahre Schwarz-Gelb waren leider trotz aller Milliarden im Forschungsetat vier verlorene Jahre für eine nachhaltige Personalpolitik in der Wissenschaft. In dieser Zeit hat sich bereits eine Generation vom Studium in die Promotion aufgemacht, aus Interesse an den Forschungsfragen und an der Lehre, aber ohne Perspektive für den weiteren Lebenslauf.

Seit 2006, der Einbringung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes, erlebe ich hier die Debatten über Befristungen und mangelnde Karriereperspektiven für junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit.  Viele davon hat auch meine Fraktion mit angestoßen. Grüne und LINKE waren die einzigen, die das Gesetz 2007 abgelehnt haben. In der Opposition entdeckte dann auch die SPD, dass die Situation an Hochschulen und Forschungseinrichtungen unhaltbar ist. Und nun hat es selbst die Union erkannt: prekäre Beschäftigung und kurzatmige Personalpolitik kennzeichnen immer stärker unser Wissenschaftssystem.

Die Zahlen rütteln auf: 2011 betrug der Anteil befristeter Verträge bei angestellten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bereits 90 Prozent, Tendenz steigend. Davon arbeitet etwa die Hälfte in Teilzeit. 53% der Verträge laufen laut Evaluierung des Gesetzes kürzer als 12 Monate.

Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz, dessen Regelungsgehalt auf Hochschulrahmenrecht aus der Zeit von SPD-Ministerin Bulmahn zurückgeht, hat weder Rechtssicherheit geschaffen, noch durch die Befristungshöchstgrenze zu mehr unbefristeter Beschäftigung  geführt. Diese Wahrheit sollte endlich auch die Koalition zur Kenntnis nehmen und das Gesetz grundlegend reformieren. Die Ausrede, dass Personalpolitik seit der Föderalismusreform Sache der Länder sei, zählt bei einem Bundesgesetz eindeutig nicht.

Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz, das zur Deregulierung des Sonderarbeitsmarktes Wissenschaft geschaffen wurde, sollte angesichts der verheerenden Entwicklungen nun zur Reregulierung eingesetzt werden. In das Gesetz gehören Standards wie Mindestvertragslaufzeiten, die Bindung der Laufzeit an Qualifikationsphase oder Projektlaufzeit sowie Vertragsverlängerungen bei Familienarbeit. Zudem muss endlich die einmalige und unsägliche Tarifsperre gestrichen werden.

Aber uns ist bewusst, dass es gilt, einen Trend in der Wissenschaft grundlegend umzudrehen: den Trend zur „Verfügungsmasse Mittelbau.“ Die steigenden Aufgaben der Hochschulen in den letzten Jahren – mehr Studierende, Förderprojekte, Wettbewerbe um Mittel – wurden allesamt mit prekär beschäftigtem Personal, zumeist noch ohne Promotion bewältigt. Eine kontinuierliche Personalentwicklung mit dem Ziel klarer Karrierewege und einer ausgewogenen und leistungsfähigen Personalstruktur fand nicht statt.

DIE LINKE schlägt daher vor, dass der Bund mit einem Programm für „Gute Arbeit in der Wissenschaft“ einen finanziellen Anreiz zur Schaffung unbefristeter oder Tenure-Stellen setzt. 20.000 Euro Zuschuss für die Schaffung einer Stelle mit Entfristungsoption in zwei Jahren. Bei 5000 Stellen jährlich kostet eine solche Maßnahme 100 Millionen Euro im Jahr. Da ist etwa so viel, wie wir im Jahr für die Förderung optischer Technologien ausgeben. Und weniger als ein Zehntel der Förderung von Luft- und Raumfahrt.

In den kommenden zehn Jahren könnte auf diese Weise die knappe Hälfte des angestellten wissenschaftlichen Personals an den Hochschulen auf Stellen mit Perspektive gelangen. Absichtlich soll die Förderung nicht auf bestimmte Personalkategorien eingeschränkt werden, um die Gestaltung der Personalstrukturen vor Ort nicht unnötig zu beschränken. So wären Juniorprofessuren mit Tenure Track, klassische Mitarbeiter- und Mitarbeiterinnenstellen bzw. Hochschuldozentinnen und -dozentinnen förderfähig. Dazu sollte, ähnlich wie beim Professorinnenprogramm des Bundes, jede teilnehmende Hochschule ein Konzept für eine nachhaltige Personalentwicklung vorlegen. Mit einem solchen Programm könnte der Bund auch ohne Abschaffung des Kooperationsverbotes im Grundgesetz einen echten Paradigmenwechsel einleiten.

Niemand will nur noch unbefristete Stellen an Hochschulen. Für Qualifikationsphasen und für Projektförderung sind sie weiterhin einem gewissen Maß notwendig. Auch wird kaum jemand ein ganzes Leben auf einer bestimmten Stelle verbringen wollen. Auch beamtete Professorinnen und Professoren wechseln ja ihren Arbeitsort oft mehrfach im Karriereverlauf.

Aber der massenhafte Verschleiß ganzer Generationen hoch motivierter und innovativer junger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wird, wenn wir alles so weiterlaufen lassen, individuelle Lebensperspektiven zerstören und die Leistungsfähigkeit unserer Hochschul- und Forschungslandschaft dauerhaft beeinträchtigen.