Jeder kennt das Bundestagsplenum, nur wenige die Ausschüsse. Warum sind die wichtig?
Weil in den Ausschüssen die Fachpolitiker unterschiedlicher Gebiete sitzen. Dadurch können mehr Aspekte besprochen werden. Man diskutiert also umfassender – anders, als es im Plenum möglich wäre. Und anders, als es im Hauptausschuss der Fall sein wird, der noch diese Woche gegründet wird.
Der geplante Hauptausschuss soll bis zur Regierungsbildung über Gesetze, Anträge und Initiativen beraten – und die Lähmung des Parlaments beenden. Das Supergremium soll aus über 40 Abgeordneten aller Fraktionen bestehen und ist ein Novum in der Geschichte des Bundestags. Ist dieser Hauptausschuss ein akzeptabler Kompromiss?
Nein. Im Grundgesetz sind beispielsweise der Verteidigungs- und der Auswärtige Ausschuss vorgesehen. Und in diesen Ausschüssen sind dann auch zwingend Fragen wie die Verlängerung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr und damit verbundene Probleme zu besprechen. Diese Themen kann man nicht mal eben in einen Hauptausschuss schieben. Das halte ich für verfassungswidrig.
Zudem ist von so einem Ausschuss weder im Grundgesetz, noch in der Geschäftsordnung des Bundestages die Rede. Außerdem sitzen im Hauptausschuss pro Thema höchstens ein oder zwei Experten aus jeder Fraktion, obwohl sich ein Ausschuss an der Sachkunde orientieren sollte. Das ist besonders für die kleineren Oppositionsfraktionen problematisch. Ein akzeptabler Kompromiss wäre für mich natürlich unser Antrag gewesen (lacht).
Der Antrag Ihrer Fraktion, schon jetzt neun Ausschüsse zu gründen, wurde abgelehnt. Warum wäre es richtig gewesen, schon jetzt in den Fachgruppen zu tagen, obwohl die Regierung noch nicht steht?
Weil es immer noch eine – wenngleich geschäftsführend amtierende – Regierung gibt. Ich sehe es ganz so, wie der Bundestagspräsident. Er meinte: Auch „eine geschäftsführend amtierende Bundesregierung“ bedarf „nicht weniger parlamentarischer Kontrolle“. Sie macht ja trotzdem noch Politik. Davon abgesehen, haben wir nur Ausschüsse vorgeschlagen, die sowieso gegründet werden müssen. Fünf davon schreibt das Grundgesetz vor und die anderen vier hat es seit etwa der dritten Wahlperiode immer gegeben. Die Gefahr, sich umsonst Arbeit zu machen, läge also bei null.
Sobald der Hauptausschuss steht, muss er sich zum Beispiel mit über 7.000 Petitionen befassen. Diese Bitten oder Beschwerden der Bürger sind seit der Wahl im Bundestag eingegangen. Ist das zu schaffen?
Nein. Ich denke, der Hauptausschuss kann höchstens die 650 beschlussreifen Petitionen aus der letzten Wahlperiode strukturieren, um sie dann dem Parlament gebündelt zur Abstimmung vorzulegen. Für über 7.000 Petitionen fehlen ihm beim besten Willen die Kapazitäten. Ich fände es deshalb gut, wenn der Petitionsausschuss über eine Wahlperiode hinaus arbeiten könnte, bis die neue Regierung steht.
Wie wäre es möglich gewesen, neun Ausschüsse in so kurzer Zeit zu organisieren?
Ach, das ist gar kein Problem! Für meine Fraktion mache ich die Zusammenstellung dieser Ausschüsse an einem Vormittag. Bei den größeren Fraktionen dauert es dann vielleicht einen Tag länger. Und was den Vorsitzenden angeht, da hätte man ja eine Regelung wie zur konstituierenden Sitzung treffen können – dass vorläufig der älteste Abgeordnete den Vorsitz übernimmt.
Alle pokern gerade um die richtige Position: Jeder Abgeordnete hat drei Wünsche für den Lieblingsausschuss frei. Aber wonach benennt man am Ende die Mitglieder in einem Ausschuss?
Den Ausschlag gibt vor allem die Fachkompetenz, aber auch die politische Vorgeschichte der Abgeordneten. Wir versuchen immer, eine Mischung aus neuen und alten Mitgliedern in den Ausschuss zu bringen. Natürlich braucht jeder Ausschuss Leute, die schon mal dabei waren und das nötige Wissen mitbringen. Trotzdem sind es nicht selten die Neuen, die die spannenden Fragen stellen. Fragen mit denen sich die „Alteingesessenen“ schon gar nicht mehr beschäftigen.
Und wer entscheidet letztlich, wo welcher Abgeordnete mitarbeitet?
Für die Linksfraktion sammle ich die Vorschläge: Danach ordne ich als parlamentarische Geschäftsführerin die Politiker nach ihren Fachgebieten und Wünschen den Ausschüssen zu. Hin und wieder muss ich dann vermitteln und Abgeordnete ermuntern, auch mal in andere Gebiete reinzuschauen. Am Ende bleiben dann drei oder vier, über welche die Fraktion abstimmen muss. Das ist aber eigentlich Mist – jeder sollte ja mit seinem Ausschuss zufrieden sein.
Die Wähler warten jetzt schon seit über zwei Monaten auf eine neue Regierung. Ist das noch normal oder dauert der Prozess zu lange? Was könnte in der Hinsicht besser laufen?
Nun, manche sagen ja: Das war doch immer so. Nach den Wahlen gibt es eben eine Hängepartie. Aber das ärgert mich. Dass etwas immer schon so war, heißt nicht, dass es immer schon gut war. Die Regierungsbildung dauert schon länger als üblich und so etwas wie einen Hauptausschuss hat es vorher noch nie gegeben. Die Bürger haben doch gewählt, weil sie mitbestimmen wollen. Und wir Abgeordnete sind von ihnen gewählte Vertreter. Da darf es keine Diätkur geben, bloß weil die Regierung noch nicht steht. Fürs Erste ist es wichtig, dass Sitzungen des Bundestages stattfinden, bevor die Regierung gebildet ist.
Bisher waren Sie Mitglied und Obfrau, also „Chefin“ der Linken-Abgeordneten im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung. In welchem Ausschuss möchten Sie in Zukunft mitwirken und warum?
Als parlamentarische Geschäftsführerin bin ich automatisch zugeteilt – im Ältestenrat. Die Mitarbeit in anderen Ausschüssen ist dann leider nicht vorgesehen und kaum zu schaffen. Mit einem kleinen Trick könnte ich ab und zu aber noch dabei sein: Wenn mir jemand für eine Ausschusssitzung seine Mitgliedschaft „abtritt“. Das kann man schriftlich der oder dem Vorsitzenden anzeigen. Und das ist nicht unüblich für kleinere Fraktionen.
Über Petra Sitte (Die Linke): Die gebürtige Dresdnerin hat in Halle Volkswirtschaftslehre studiert und später ihren Doktortitel gemacht. 15 Jahre saß sie für die damalige PDS im Landtag von Sachsen-Anhalt. Im Bundestag sitzt die 53-jährige schon seit 2005.