Unsere Fraktion als parlamentarische Vertretung einer gesamtdeutschen LINKEN hat sich nun in der dritten Legislaturperiode etabliert. Alle Strategien, die unbequeme Opposition und lästige Konkurrenz aus dem Parlament zu drängen, sind gescheitert. Wir sind gekommen, um zu bleiben – und dieses Land weiter zu verändern. Als drittstärkste Kraft, als größte Oppositionsfraktion werden wir die Auseinandersetzung mit der Politik der Regierung von Angela Merkel aufnehmen.
Unabhängig von unserem Vorsprung vor den Grünen: Die Oppositionsführerschaft bekommen wir nicht geschenkt, wir müssen sie uns erarbeiten. Mit treffenden Initiativen, erhellenden Anfragen, mit ausstrahlenden Veranstaltungen und medialer Präsenz sowie personeller Sichtbarkeit – auf dem Hauptstadtparkett, aber auch vor Ort überall in der Republik. Wir wollen die erste Adresse für Alternativen zum Mehltau der Großen Koalition sein. Diese sind nötiger denn je: Mehr als sieben Millionen Wählerinnen und Wähler sind wegen der Fünfprozenthürde im Parlament nicht repräsentiert. So viele wie noch nie. Auch die Wahlbeteiligung lag bei der vergangenen Wahl nur wenig über ihrem Allzeittief von 2009. Die Menschen sind nicht unpolitischer geworden, aber die Unzufriedenheit mit den Parteien steigt. Diese Unzufriedenheit kann sich immer auch nach rechts wenden. Dabei muss nicht unbedingt die NPD profitieren. Auch der nur knapp gescheiterte Einzug der nationalliberalen Alternative für Deutschland (AfD) ist ein Warnzeichen über das konservative Lager hinaus. Dabei geht es um mehr als um Währungs- und Finanzpolitik. Die AfD hat Stimmen von allen größeren Parteien angezogen und zeigt, dass die Entsolidarisierung als Programm breitere Bevölkerungsschichten mobilisieren kann. Auf DIE LINKE kommt die Verantwortung zu, in einer Phase beschleunigter sozialer Spaltung nationalistischen und ausgrenzenden Reflexen, die sich auch im Wahlergebnis der AfD ausdrücken, solidarische Alternativen entgegenzusetzen. Diese sind leider von der antretenden Koalition nicht zu erwarten.
Auch wenn die SPD in den Koalitionsverhandlungen medial auf den Busch klopfte, zeigten sich die Symptome des typischen großkoalitionären Minimalismus. Eine gerechtere Steuerpolitik, durch die weite Teile des SPD-Wahlprogramms erst finanzierbar wären, wurde schon frühzeitig ad acta gelegt. Wenn es jedoch um Statusfragen ging, war man weniger kompromissbereit und mit der CDU schnell einig geworden: Eine zweite Parlamentsvizepräsidentin musste es jeweils schon sein, um »auf Augenhöhe mit der Union« zu agieren, wie SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier begründete. Die SPD hat – mal wieder – einen Lackmustest vor sich. Ihre Voraussetzungen sind dabei alles andere als günstig, denn die Absage an rot-rot-grüne Sondierungen und das geräuschlose Sinken der SPD-Spitze in die Arme der Union sind kein Zeichen von Verhandlungsstärke.
Projekte zum Politikwechsel
Unsere Arbeit als Opposition zur Regierung Merkel wird sich gegen halbgare Kompromisse und Kuhhandel richten. Die Wahlprogramme der Unionsparteien enthalten keine Projekte zur politischen Erneuerung dieses Landes. Angela Merkel hat sich im Wahlkampf als Verwalterin des Status quo präsentiert. Und sie ist genau dafür, in einer Phase des konjunkturellen Aufschwungs und der trügerischen, weil temporären Sicherheit vor den sozialen und politischen Krisen, gewählt worden. Mehr Bildungsgerechtigkeit, das Eindämmen von Niedriglöhnen und prekärer Arbeit, die Gleichstellung der Geschlechter, die politische Begleitung der Digitalisierung aller Lebensbereiche, eine menschenwürdige Flüchtlingspolitik, direkte Demokratie, der sozialökologische Umbau unserer Wirtschaft – all diese Vorhaben stehen nicht auf der Agenda der Christdemokratie. Und es gibt wenig Anzeichen, dass die SPD zur Erweckerin der Union werden könnte. Das spezifisch deutsche Modell der Niedriglöhne, der prekären Arbeit, der exorbitanten Exportüberschüsse oder auch sozial selektiver Bildungssysteme trägt für die Zukunft nicht. Hier liegt unser Handlungsfeld als Opposition. Angesichts der offensichtlichen Herausforderungen für unsere Gesellschaft müssen wir das Handeln einfordern und immer wieder Vorschläge für eine andere Politik machen – gerechter, offener, demokratischer und nachhaltiger wollen wir dieses Land gestalten.
Politik im Dialog
Neben der konzentrierten Oppositionsarbeit, neben Kritik und Alternativen stehen jedoch auch Gespräche für die Zeit nach dieser Großen Koalition an. Deren Ende kann schneller kommen, als das heute denkbar ist. Eine rot-rot-grüne Regierungsoption ist auch deswegen nach dieser Wahl nicht zum Zuge gekommen, weil sie personell und inhaltlich ungenügend vorbereitet war. Das muss sich ändern. Natürlich sind wir schnell zu einem Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen von den Grünen auch im Parlament gekommen. Wir wollen und müssen gemeinsam die Minderheitenrechte im Bundestag stärken, die uns als Opposition erst handlungsfähig machen. Das gemeinsame Drücken der Oppositionsbänke kann Vertrauen bilden, das für eine mögliche spätere Zusammenarbeit unerlässlich ist. Zur SPD in einer Großen Koalition hingegen wird der Kontakt sicher konfliktreicher. Wir können nur hoffen, dass sie sich von der Union nicht zu Tode lieben lässt. Wenn sie sich nicht dauerhaft in ihrer Rolle als Juniorpartner einmotten lassen will, muss sie mehr Optionen als bisher ins Auge fassen.
Die Anforderungen an uns LINKE im Parlament werden gewiss nicht weniger. Gleichwohl ist unsere Bundestagsfraktion nicht größer geworden. Die Gründe dafür können wir nicht auf andere schieben, sondern müssen sie bei uns selbst suchen. Unser gutes Wahlergebnis hätte durchaus noch besser sein können. Nicht zuletzt war es auch eine Quittung für einen vermasselten Start in die letzte Legislaturperiode. Ich habe mir persönlich in meinem neuen Amt zum Ziel gesetzt, dass wir beim Start in die 18. Legislaturperiode schnell handlungsfähig werden und sichtbarer und kreativer unsere Politik gestalten – im Bundestag, aber vor allem darüber hinaus. Zunächst müssen die Fachausschüsse des Parlaments besetzt und die Arbeitskreise unserer Fraktion konstituiert werden. Wir haben auch unseren Fraktionsbetrieb schnell ins Laufen gebracht, um den Beschäftigten Sicherheit und der Fraktion Arbeitsfähigkeit zu geben. Unser 100-Tage-Programm mit Initiativen für ein gerechteres und sozialeres Deutschland setzt sich nicht von allein um. Und auch für die 1.325 Tage danach, die diese Legislaturperiode laut Plan für uns bereithält, stellen wir jetzt die Weichen. Diese neue Bundestagsfraktion nimmt ihre Aufgabe an: die Wirkungsmacht LINKER Politik zu erweitern und zu stärken.
Petra Sitte ist 1. Parlamentarische Geschäftsführerin und seit 2005 Mitglied der Fraktion DIE LINKE