Seit 1. Januar gelten bei Facebook neue AGB. Facebook überwacht nun auch, welche Webseiten seine Mitglieder außerhalb des so genannten Sozialen Netzwerkes besuchen und welche anderen Apps sie nutzen. Vor anderthalb Jahren war die Aufregung noch groß über die NSA. Jetzt bleibt den Nutzerinnen und Nutzern nicht viel übrig, als sich noch mehr ausspionieren zu lassen. Diese Hilflosigkeit hat schon etwas von Realsatire.
Petra Sitte: Ja, gegenüber Facebook haben wir ab 2015 noch weniger Privatsphäre als zuvor. Aber noch kann ich selbst entscheiden, ob ich Facebook nutzen will oder auf datenschutzfreundlichere Alternativen umsteige. Bei der Überwachung von allem, was wir zu jeder Zeit im Internet tun, durch Geheimdienste kann ich mich nicht abmelden. Das gilt nicht nur für die NSA, sondern unter anderem auch für die deutschen Geheimdienste. Während Facebooks Überwachung vor allem dazu dient, mir Werbung anzuzeigen, ist die Überwachung durch Geheimdienste Grundlage für ein Art Rasterfahndung, im schlimmsten Fall für Gefängnis, Folter und gezielte Tötung. Da braucht es massiven politischen Druck und neue Regelungen, die diese flächendeckende Überwachung beenden.
Anstatt Cannabis wird Überwachung legalisiert und ausgebaut. Spiegelt sich hierin nicht auch ein Stück weit ein Zeitgeist wider? Die Massenproteste bleiben aus.
Muss Cannabis nicht eher angebaut werden? (lacht) Überwachung durch Geheimdienste ist in der Tat ein Bürgerrechtsthema, das nicht so stark auf die Straße mobilisiert. Das könnte daran liegen, dass für viele bisher keine direkten Folgen dieser Überwachung spürbar sind. Es interessiert vor allem Menschen, die selbst mit Medien, Öffentlichkeit oder Information arbeiten. Ich sehe hier eine Aufgabe der Politik, das Bewusstsein für die Gefahr eingeschränkter Bürgerrechte wachzuhalten. Allerdings: Die wenigsten Konflikte werden in Deutschland durch Massenproteste artikuliert. Weniger wichtig werden sie dafür nicht.
Wie soll verhindert werden, dass die Rechte noch mehr als ohnehin schon den Unmut der Bürgerinnen und Bürger für sich instrumentalisieren kann?
Ich sehe unsere Aufgabe als LINKE dabei in folgenden zwei Punkten: Zum einen machen wir Menschen, die sozial deklassiert wurden oder Abstiegsängste haben, ein politisches Angebot, das an die Wurzeln ihrer Probleme geht. Wir suchen keine Sündenböcke, sondern wollen mehr soziale Sicherheit, bessere Arbeitsbedingungen und einen guten Sozialstaat für alle hier lebenden Menschen. Und wir wollen das nicht nur, wir können es auch. Das wird nicht zuletzt unsere Regierung in Thüringen zeigen.
Und zweitens werden wir die Rechten – ob sie AfD, NPD oder Pegida heißen – inhaltlich stellen. Auch die CSU schürt Ressentiments. Gefühlten Wahrheiten muss man mit Aufklärung begegnen. Dumpfe Überheblichkeit und Hass gegen alles Fremde, Neue und Libertäre werden wir als Partei immer entgegentreten. Man darf nicht vergessen: Es geht nicht nur gegen Flüchtlinge oder Muslime, es geht bei den Rechten auch gegen die Gleichberechtigung von Schwulen und Lesben, um die Ablehnung von Frauenrechten und Gender Mainstreaming, aber all zu oft auch um krude Auffassungen gegen Abtreibung und weibliche Selbstbestimmung.
Das, was Union und SPD seit einem Jahr mit ihrer 80-Prozent-Mehrheit im Bundestag treiben, hat auch etwas von Realsatire. Wie oft ging Ihnen in den letzten Monaten durch den Kopf: Das ist jetzt nicht deren Ernst?
Oft. Die größte Koalition in der bundesdeutschen Geschichte spielt ihre Mehrheit aus. Da werden Anfragen zu spät oder gar nicht beantwortet, da wird die beantragte Öffentlichkeit einzelner Ausschüsse abgelehnt. Da werden Diäten im Schnelldurchgang erhöht. Da bekommt die Opposition zur Beurteilung von umfangreichen Gesetzentwürfen gerade einmal 24 Stunden Zeit. Da werden Untersuchungsausschüsse vorgeführt.
Der politische Wettstreit auf Augenhöhe, der den Parlamentarismus lebendig macht, funktioniert nicht mehr und die Menschen wenden sich vom Parlament ab. Jüngst hat eine Studie belegt, um wieviel das Interesse an Bundestagsdebatten bei Bürgerinnen und Bürgern, aber auch bei den Medien geschrumpft ist. Ich halte diese Entwicklung für höchst problematisch. Sie bestärkt uns aber in unseren Initiativen für mehr Transparenz und mehr Rechte der Minderheit im Bundestag. Auch das Verfassungsgericht wird uns sicher nicht das letzte Mal sehen.
Es gibt weiterhin im Bund keine ernstzunehmende Alternative zu einer Regierungskoalition unter einer Kanzlerin Merkel. Haben Sie eine Idee, wie es 2017 mit einer Ablösung Merkels klappen könnte? Oder ist der Zug bereits abgefahren?
Der Zug darf nicht abfahren. Knapp 80 Prozent der Deutschen, so eine Umfrage, finden, dass die Große Koalition zu wenig für die Sicherung der Zukunft unserer Gesellschaft tut. Die Menschen wissen durchaus, dass die GroKo zu wenige und auch unentschlossene Schritte geht. Ob bei der Pflege, bei der Gesundheit, bei den Investitionen in Bildung und Infrastruktur oder bei der Digitalisierung – da wird eine Bugwelle an Problemen aufgehäuft, die nicht gelöst werden. Stolz verkündet man, 80 Prozent des Koalitionsvertrages abgearbeitet zu haben. Wer aber nach einem Jahr 80 Prozent seines Arbeitsprogrammes abgearbeitet hat, der hat sich eindeutig zu wenig vorgenommen.
Unsere Aufgabe muss es sein, den Finger immer wieder in diese Wunde mangelnder Zukunftsgestaltung zu legen und Alternativen anzubieten, die die Menschen überzeugen. Auch wir erarbeiten weiter Konzepte, reden mit Akteuren aus der Gesellschaft und werben für unsere Positionen. Gute Ideen und eine breite Vernetzung brauchen wir immer – ob als Opposition oder als Regierungsalternative. Und natürlich werden wir versuchen, in Richtung 2017 stärker zu werden und dadurch unseren Teil zu einem politischen Wechsel beizutragen.
Hat die Oppositionsführerin alle Hausaufgaben für 2015 gemacht?
Am Jahresanfang werden wir im Rahmen einer Klausurtagung unsere politischen Schwerpunkte diskutieren. Die Vorbereitungen dazu sind weit gediehen. Zudem wollen wir den Bereich Wirtschaftspolitik vertiefen und neue Antworten auf die Krise in Europa, aber auch auf die Veränderungen in der Wirtschaftswelt finden. Und natürlich sind wir vorbereitet auf die wenigen Initiativen, die die Große Koalition noch zu bieten hat.
Wovon würden Sie sich 2015 gern politisch überraschen lassen?
Davon, dass sich die Gewaltspirale in den Konflikten der Welt nicht immer weiter drehen muss, sondern dass alle Seiten den Finger vom Abzug nehmen können und eine friedliche Kooperation anstreben.