38. a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (Netzwerkdurchsetzungsgesetz – NetzDG); Drucksache 18/12356
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz, Renate Künast, Tabea Rößner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Transparenz und Recht im Netz – Maßnahmen gegen Hasskommentare, „Fake News“ und Missbrauch von „Social Bots“; Drucksache 18/11856
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
So wie ein Zitronenfalter eben keine Zitronen faltet, setzt ein Netzwerkdurchsetzungsgesetz eben keine Netzwerke durch. So viel ist schon einmal klar.
(Beifall bei der LINKEN – Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich!)
Die Frage aber, was hier tatsächlich von wem und wem gegenüber durchgesetzt wird, sollten wir an dieser Stelle im Hinterkopf behalten. Wie wir schon hören konnten, soll es um die Durchsetzung von Recht und Gesetz gegenüber den großen sozialen Netzwerken gehen. Das ist – so viel sei hier vorausgeschickt – ein durchaus berechtigtes Anliegen.
(Volker Kauder (CDU/CSU): Gott sei Dank!)
Facebook, Twitter und Co. haben sich in der Vergangenheit oft genug viel zu wenig kooperativ gezeigt, insbesondere dann, wenn es um die Bekämpfung von rechtswidriger Hassrede, um Hetze und Belästigung ging. Aber der nun eingebrachte Gesetzentwurf – das wissen wir schon jetzt – wird neue Probleme schaffen, vor allem deshalb, weil er die Durchsetzung am Ende doch wiederum in Hände legt, in die sie nicht gehört; darin sind wir uns mit Sicherheit einig.
Die Herausforderung, vor der wir stehen, ist die: Eine kleine Anzahl großer kommerzieller Plattformen monopolisiert eine Form der Kommunikation, die wir aus unserem Leben nicht mehr wegdenken wollen. Das führt dann dazu, dass elementare Regeln über Inhalte nicht mehr gesellschaftlich ausgehandelt, sondern in Privatunternehmen einseitig festgelegt werden. Ein Beispiel sind die berüchtigten Gemeinschaftsstandards von Facebook, nach denen weibliche Brustwarzen ganz offensichtlich ein größeres Problem als Nazipropaganda darstellen. Auf diese bzw. ähnliche Herausforderungen brauchen wir in der Tat eine ordnungspolitische Antwort.
(Beifall bei der LINKEN)
Eine ausführliche Berichtspflicht für die sozialen Netzwerke und bußgeldbewehrte Vorgaben für die Beschwerdebearbeitung sind durchaus keine falschen Ansätze. Aber das Problem mit den Vorgaben, die Sie hier machen, ist, dass die Plattformen selbst die rechtliche Einordnung überantwortet bekommen. Das ist keine Durchsetzung gegenüber den Netzwerken, sondern durch die Netzwerke. Eine Plattform wird dann innerhalb kürzester Zeit selbst entscheiden müssen, ob ein Inhalt rechtswidrig ist.
Das kann aber durchaus auch eine komplizierte Abwägungsfrage sein. Wenn die unterlassene Löschung sanktioniert wird, ein zu Unrecht gelöschter Inhalt aber nicht, dann kann man sich relativ leicht ausrechnen, wohin das führen wird. Dann werden eben auch legale Inhalte im großen Stil gelöscht werden. Bei Plattformen, die ein faktisches Monopol innehaben, kann uns das eben ganz und gar nicht egal sein. Wir haben andere Fälle sogenannter Kollateralschäden längst erlebt.
Dazu kommt eine neue Verpflichtung im Telemediengesetz, Bestandsdaten auch bei zivilrechtlichen Ansprüchen herauszugeben. Das war bislang nicht der Fall. So eröffnet man nicht nur der Abmahnindustrie ein neues Betätigungsfeld. Bei der Bekämpfung von Hate Speech könnte der Schuss sogar nach hinten losgehen. Viel Fantasie gehört nämlich nicht dazu, um sich vorzustellen, dass derartige Möglichkeiten auch zur Einschüchterung, wie Sie es ja selbst gesagt haben, missbraucht werden, etwa bei Aktivismus gegen Rechtsextreme.
Insgesamt merkt man dem Gesetzentwurf sehr wohl die Temperatur der beim Stricken verwendeten Nadeln deutlich an. Die Aufzählung der Straftatbestände mutet willkürlich an. Zuletzt wurde sie noch um die Verbreitung pornografischer Schriften erweitert, obwohl die Zielsetzung angeblich die Bekämpfung von Hasskriminalität ist. Infolgedessen dürfen wir nun der mit heißen Nadeln gestrickten und notdürftig geflickten Begründung des Gesetzes die durchaus interessante Information entnehmen, dass der Grund für die Wahl des Anwendungsbereiches des Gesetzes der Anwendungsbereich des Gesetzes sei. Welche Plattformen nun konkret vom Gesetz betroffen sein werden – ausweislich des Entwurfs sollen es etwa zehn sein -, kann uns die Bundesregierung auch auf direkte Frage nicht mitteilen.
Einige sehen auch verfassungs- und europarechtliche Probleme. Ob nun zur Recht oder nicht: Es ist jedenfalls schwer, zu glauben, dass die Vereinbarkeit mit angemessener Gründlichkeit geprüft wurde. Es ist der Bedeutung des Themas aber nicht angemessen, hier auf den letzten Metern der Wahlperiode einen eilig heruntergeschriebenen Gesetzentwurf vorzulegen, um Handlungsfähigkeit zu demonstrieren, vor allem dann nicht, wenn die Konsequenzen offensichtlich so wenig bedacht wurden. Nicht ohne Grund hat sich ein breites Bündnis – von BITKOM bis hin zur Amadeu-Antonio-Stiftung, das ist keineswegs eine klassische Kombination – gebildet, das eine Deklaration der Meinungsfreiheit vertritt und sich ausdrücklich gegen diesen Gesetzentwurf ausgesprochen hat und die Einrichtung eines runden Tisches fordert.
(Beifall bei der LINKEN)
Die Koalition wäre also durchaus gut beraten, die Kritik ernst zu nehmen und sich auf eine umfassendere Diskussion einzulassen. Die Debatte krankt auch daran, dass das Netzwerkdurchsetzungsgesetz gewissermaßen als Allheilmittel gegen Hate Speech und Fake News verkauft wird. Dadurch haben wir wieder das Problem, dass die Menschen glauben, dass etwas durch die Politik gelöst wird, was sich aber im Leben und in der Praxis ganz anders darstellt. Das kann nicht sein.
(Beifall bei der LINKEN)
Selbst wenn alle unsere Kritikpunkte zu diesem Gesetzentwurf umgesetzt würden, hätten wir es mit einer breiten gesellschaftlichen Debatte darüber zu tun, wie Kommunikation bzw. die Kultur der Kommunikation in diesem Land gestaltet werden kann. Die damit zusammenhängenden gesellschaftlichen Probleme lassen sich nicht mit einer besseren Durchsetzbarkeit des Strafrechts lösen, ebenso wenig mit einer Ausweitung des Strafrechts an dieser Stelle. Ich bezweifle, dass sich der Begriff „Fake News“ rechtlich sauber definieren lässt und dass sich alles, was völlig zu Recht als Hate Speech verurteilt werden kann, rechtlich sanktionieren lässt. Das ändert nichts daran, dass wir als Gesellschaft diese Probleme benennen müssen; da haben Sie völlig Recht, Herr Maas. Diese Debatte muss geführt werden.
(Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Was ist denn Euer Lösungsvorschlag!)
Politisch müssen wir uns mit noch weit mehr mit der Rechtsdurchsetzung befassen.
(Beifall bei der LINKEN)
Dabei geht es um Medienkompetenz, politische Bildung, zivilgesellschaftliches Engagement, die Strukturkrise des Journalismus, Geldflüsse über Werbenetzwerke und grundsätzlich um den ordnungspolitischen Umgang mit der neuen Plattformwirtschaft.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))
Diese Diskussion muss in der Breite geführt werden. Dafür sollten wir uns in der kommenden Wahlperiode Zeit nehmen.
Den Gesetzentwurf in der vorliegenden Form zu verabschieden, halten wir für einen Fehler. Ein noch größerer Fehler wäre, nur das zu tun und zu glauben, das Problem sei damit weitestgehend gelöst. Das ist mitnichten der Fall.
Danke.
(Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder (CDU/CSU): Was machen wir denn jetzt?)