Die Gesellschaft braucht das Ehrenamt. Ehrenamtlich arbeitende Menschen unterstützen Aktionen, Initiativen, Organisationen, Vereine und Verbände auf vielfältige Art und Weise. Sie geben dafür ihre Zeit, ihr Wissen, ihr Können und ihre Arbeitskraft meist kostenfrei oder gegen eine kleine Aufwandsentschädigung her. Viele Initiativen könnten ohne die Leistung Ehrenamtlicher nicht effektiv und langfristig arbeiten und existieren.
Auch meine Partei ist auf die ehrenamtliche Arbeit von Genossinnen und Genossen angewiesen. Sie helfen uns an Infoständen, im Wahlkampf, bei Aktionen und Kampagnen vor Ort. Dadurch unterstützen sie nicht nur meine politische Arbeit und die Arbeit der hauptamtlich Beschäftigten und anderen Abgeordneten. Sie leisten auch einen großen Anteil an Bildungsarbeit und helfen bei der Verbreitung linker Wertvorstellungen wie Solidarität, Toleranz, Demokratie und Gerechtigkeit. Sie stellen sich in ihrer Freizeit Nazis in den Weg, verteilen Flyer und Postkarten, laufen auf Demos mit und unterstützen linke Strukturen auf diese Weise bei ihrem Kampf um eine gerechtere Gesellschaft.
Wir brauchen Ehrenamtliche, so wie jeder Baum die Erde braucht, um sich mit seinen Wurzeln darin tief verankern zu können. Und so wie wir darauf achten einem Baum nachhaltig alle lebenswichtigen Ressourcen zukommen zu lassen, so müssen wir auch nachhaltig mit unserem Aktivismus umgehen. Wie gelingt uns das? Ein stipendiatischer Arbeitskreis der Rosa-Luxemburg-Stiftung macht sich darüber aktuell viele Gedanken und hat sich somit der Bewegung des Nachhaltigen Aktivismus¹ angeschlossen.
Nachhaltiger Aktivismus hat viele Wurzeln – spirituelle (Befreiungstheologie, Befreiungspsychologie, engagierter Zen-Buddhismus etc.), psychologische (Resilienzforschung etc.) und aus den sozialen Bewegungen kommende (Frauenbewegung etc.). Sie alle gehen der Frage nach wie Ehrenamtlichkeit nachhaltig gestaltet sein kann, um sie langfristig zu erhalten. Das ist eine hochspannende Frage, die auch linke Strukturen diskutieren (sollten).
Ja, es ist gewagt, eine Kolumne darüber zu schreiben, wie wir Überforderung im linken Ehrenamt vermeiden sollten. Aber auch wir sind hier nicht frei von hohen Ansprüchen und Leistungsdenken und entsprechend genauso von deren Folgen, wie Überforderung und Burnout, betroffen. Wir setzen uns stets hohe Ziele, wollen und müssen die Gesellschaft zu einer faireren und toleranteren verändern, keine Frage. Dem Druck, den wir uns selbst dabei machen, muss aber auch standgehalten werden können. Unsere Aktiven kommen schließlich aus der noch unperfekten und prekären, intoleranten und unfairen Gesellschaft. Das ist ihr Alltag. Im Ehrenamt sollen sie sich entfalten können, ohne daran auszubrennen. Das hat viel mit Strukturen, Machtverhältnissen und Hierarchien innerhalb linker Systeme zu tun, aber auch mit Gesprächs- und Konfliktkulturen, linken Moralvorstellungen und Wertschätzungen.
Es macht einen Unterschied, ob im Plenum stets der Blick auf das Negative fällt: Das Projekt lief nicht gut. Diese Aktion war nicht erfolgreich. Wir sind gegen dies und gegen das und generell ist die Gesellschaft schlecht. Wenn wir es nicht tun, dann tut es kein anderer für uns. Oder ob wir einfach mal den Blick ein wenig verändern und ihn auf Teilziele lenken, uns erlauben, auch kleine Erfolge zu feiern (!) oder unsere Kräfte lieber für drei, statt für fünf Großaktionen zu bündeln. Ehrenamtliche Gruppen leisten viel, aber auch sie dürfen und müssen nicht alles leisten können. Eine Aktion auch einmal nicht stattfinden lassen zu dürfen, weil dafür die zeitlichen und personellen Ressourcen fehlen, muss auch erlaubt sein – ohne Vorwürfe und schlechtes Gewissen. Ehrenamtliche Kräfte können sich so auch einmal erholen und neu sammeln.
Aktive müssen gestärkt werden. Da spielen auch ihre gruppeninternen Strukturen eine wichtige Rolle. Wie wird mit Konflikten umgegangen? Gibt es eine RednerInnenliste? Gönnt man sich Pausen und was macht man in den Pausen? Wie wird mit einem Nein und anderen Formen von individuellen Grenzsetzungen umgegangen? Werden Grenzen respektiert? Wie werden Aufgaben verteilt? Wo liegen noch Ressourcen versteckt (BündnispartnerInnen, andere Gruppen, methodisches Know-How etc.)? Wie funktioniert die Kommunikation mit den hauptamtlichen Strukturen und herrscht hier ein gegenseitiger respektvoller Umgang? Wie geht man mit dem Konflikt zwischen den eigenen Wertvorstellungen und Bedürfnissen um und wie mit dem Wunsch nach Freizeit? Wie gut sind die Strukturen auf Menschen mit Familie ausgerichtet? Und so weiter und so weiter. Hand aufs Herz: Wie schaut es wirklich aus mit Hierarchien und Machtverhältnissen innerhalb der Gruppe? Ist der Umgang mit ihnen wirklich gut?
Manchmal tun es auch schon Kleinigkeiten, die die Wertschätzung ehrenamtlicher Arbeit steigern und so neue Kräfte mobilisieren: ein informelles Plenum in der nächsten Kneipe, eine Ration Wasser und Kekse oder vielleicht ein paar Sitzhocker am Infostand für die HelferInnen, eine kleine Feier am Ende einer erfolgreichen Kampagne oder Aktion, eine RednerInnenliste, Pausen, gemeinsame Ausflüge ohne Protokoll und Tagesordnung – einfach zum Spaß, genau! –, eine gemeinsame Tasse Kaffee in der Geschäftsstelle, weniger zerreden und diskutieren und dafür mehr Mut zum Ausprobieren neuer Ideen und Konzepte (Scheitern darf erlaubt sein).
Kurz: Darf man sich auch einfach mal wohlfühlen und sich etwas gönnen? Einfache Frage. Aber wie sieht es mit der Antwort aus?
Und was passiert eigentlich, wenn Aktive ausscheiden? Bieten wir ihnen alternative Strukturen? Wie gehen wir mit ihren Beweggründen um? Wie danken wir ihnen ihr Engagement? Wie profitieren wir auch dann noch von ihren Erfahrungen? Und wie profitieren wir von Aktiven, die nicht ausschließlich in unserer Partei aktiv sind, sondern auch noch anderen ehrenamtlichen Tätigkeiten nachgehen?
Wir wollen viel leisten. Dafür brauchen wir Kraft. Diese Kraft schöpfen wir aus Ressourcen, aus Wertschätzung und der Kommunikation miteinander. Es stehen viele Fragen hier. Lasst uns darüber nachdenken, sie diskutieren und vor allem dann auch praktisch angehen. Aber erst nach dem Sommer. Wir dürfen auch mal langsamer machen und die Sonne genießen. Denn immerhin ist jetzt Sommerpause. Das ist eine gute Gelegenheit um Luft zu holen, sich selbst zu feiern und Energie aufzutanken. Viel Spaß dabei. Ihr leistet großartige Arbeit, liebe Aktive! Schauen wir, wie wir uns gegenseitig noch besser dabei unterstützen können.
¹ Mehr dazu zum Beispiel bei Timo Luthmann Politisch aktiv sein und bleiben. Handbuch Nachhaltiger Aktivismus. Unrast Verlag. 2018.