Gemeinsames Papier mit Simone Barrientos und Amira Mohamed Ali
In der Diskussion über die europäische Urheberrechtsreform wird oft die Auffassung vorgebracht, sie würde den Urheber*innen Vorteile, insbesondere eine finanzielle Besserstellung über die Beteiligung an den Einnahmen von Onlineplattformen liefern. Vor diesem Hintergrund haben sich auch verschiedene Interessenvertretungen wie Berufsverbände und Gewerkschaften für sie ausgesprochen, obwohl ihr von anderer Seite (Wissenschaft, Bürgerrechtsorganisationen, Verbraucher- und Datenschützer*innen) deutliche Ablehnung entgegengetreten ist.
Die LINKE hat sich in dieser Debatte sehr deutlich gegen die Reform positioniert. Da uns die Stärkung der Position und der Bezahlung von Kreativschaffenden ein wichtiges Anliegen ist, erscheint es in diesem Zusammenhang wichtig, neben den zentralen Argumenten gegen die Reform in Hinsicht auf ihre Auswirkungen auf die Meinungsfreiheit und die Digitalwirtschaft als Ganzes auch noch einmal explizit darzustellen, inwieweit wir die Interessen der Urheber*innen berührt sehen. Dazu seien hier einige Punkte aufgeführt:
Die Reform führt keine einzige neue Vergütung ein – und Lizenzen sind nicht die Lösung
Anders als es Darstellungen der Reform oft erscheinen lassen, wird mit Artikel 17 (vormals 13) keine einzige neue Vergütungspflicht eingeführt. Ebenso wenig wird dadurch irgendeine Nutzungshandlung verboten, die bisher erlaubt war, und für die nun neue Lizenzgebühren verlangt werden könnten. Eine neue Finanzierungsquelle für Urheber*innen bzw. Rechteinhaber*innen wird damit also noch nicht geschaffen.
Die geäußerte Hoffnung auf eine bessere finanzielle Beteiligung an den Einnahmen von Plattform gründet sich vielmehr auf die Erwartung, dass diese nun Lizenzverträge abschließen würden, weil nur die Bemühung darum (in Verbindung mit dem Einsatz „technischer Maßnahmen“ in Gestalt von Uploadfiltern) sie von der Haftung freistellen kann. Dies scheint auf den ersten Blick auch plausibel, zu beachten ist aber folgendes:
Erstens – Auch wenn die Richtlinie nicht auf große Plattformen beschränkt ist und ihr Text an dieser Stelle alles andere als klar ist: Da es um Lizenzen für jedes denkbare Werk geht, dass irgendjemand jemals hochladen könnte, werden nur Großplattformen wie Youtube lukrative Lizenzpakete abschließen können, die etwa den ganzen Werkkatalog einer Verwertungsgesellschaft umfassen. Was in der Diskussion bislang wenig beachtet wurde: Youtube hat bereits genau einen solchen Lizenzvertrag mit der Gema, auch wenn die Konditionen öffentlich nicht bekannt sind. Nichts im Richtlinientext zwingt Youtube, diesen Vertrag neu zu verhandeln; und selbst wenn die Gema ihn einseitig kündigen würde, muss sich Youtube entsprechend der Richtlinie nur darauf berufen können, sich um eine Lizenzierung bemüht zu haben.
Zweitens – Das Modell der Lizenzierung, um Dritte frei Kopien von Werken hochladen zu lassen, mag für die Musikindustrie attraktiv sein. Das sieht schon anders aus, wenn man sich beispielsweise die Filmindustrie anschaut. Denn dort sind als Verwertungsform Exklusivverträge mit Sendern oder Plattformen üblich, die solche Lizenzverträge von vornherein ausschließen würden. Hier ginge diese Regelung also völlig ins Leere. Auch für kommerziell vertriebene Literatur oder Software ist ein solches Modell nur schwer vorstellbar.
All das lässt es unwahrscheinlich wirken, dass die Richtlinie tatsächlich dazu führen wird, dass mehr Geld ins System der Verwertungsgesellschaften fließt.
Artikel 16 geht auf Kosten der Urheber*innen
Im Gegenteil schwächt die Richtlinie die Urheber*innen sogar, wenn es um die Verteilung dieser Gelder geht.
Mit Artikel 16 (vormals 12) wird festgelegt, dass Verlage einen Anteil an der pauschalen Vergütung von erlaubten Nutzungen erhalten dürfen. Diese Regelung zielt aus deutscher Sicht insbesondere darauf, die Verlagsbeteiligung an den Ausschüttungen der VG Wort wieder einführen zu können, die 2016 durch ein BGH-Urteil gekippt wurde: Damals wurde entschieden, dass es nicht zulässig ist, die Einnahmen der VG Wort auch anteilig an Verlage und nicht nur an Urheber*innen auszuschütten. Das soll nun wieder möglich sein.
Auch im Bewusstsein um den Wert verlegerischer Leistung und die oft prekäre Situation kleiner Verlage, muss in einer Betrachtung aus Sicht der Urheber*innen doch darauf hingewiesen werden, dass eine entsprechende Neuregelung direkt auf Kosten ihrer eigenen Einnahmen gehen wird.
Auskunfts- und Beteiligungsrechte der Urheber*innen wurden wieder verwässert
Um angemessen an den Einnahmen aus der Verwertung ihrer Werke teilhaben zu können, ist es für Urheber*innen von zentraler Bedeutung, im Einzelnen Informationen über diese Verwertung erhalten zu können. Sie dürfen auch nicht in eine Situation gedrängt werden, in der sie keine andere Wahl haben, als ihre Rechte pauschal abzutreten (Total Buy Out).
Zwischenzeitlich waren in der vom Europaparlament beschlossenen Version des Richtlinientextes noch Regelungen enthalten, die tatsächlich wirksame Verbesserungen in diesem Sinne gebracht hätten; dies betrifft Artikel 18 bis 23 (vormals -14 bis 16a). Im Rahmen des Trilogs wurde hier aber viel wieder zurückgenommen.
So war in Artikel 18 (-14) ursprünglich vorgesehen, dass Verträge Vergütungen für einzelne Verwertungsarten explizit ausweisen müssen, womit Total-Buy-Out-Verträge erheblich erschwert worden wären. Diese Regelung ist ersatzlos gestrichen worden.
Die in Artikel 19 (14) vorgesehene Transparenzpflicht wurde wieder abgeschwächt, insbesondere dadurch, dass Informationen von Unterlizenznehmern erst erfragt werden müssen und dass Verträge, die mit Verwertungsgesellschaften geschlossen werden, davon explizit ausgenommen sind (Absatz 6). Zwar gelten für Verwertungsgesellschaften bereits jetzt gewisse Transparenzpflichten, für den Fall der kollektiven Lizenzierung von Inhalten auf Plattformen wären damit aber ausgerechnet die Plattformen selbst gegenüber den Urheber*innen nicht rechenschaftspflichtig! Auch eine Regelung, die es Urheber*innen ermöglicht hätte, auf eine anhaltende Verletzung der Transparenzpflicht mit einem Widerruf der erteilten Rechte zu reagieren, ist wieder gestrichen worden, so dass eine Durchsetzung nur im Rahmen langwieriger Gerichtsverfahren möglich ist.
Vollständig ausgenommen von allen Regelungen zu angemessener Vergütung, Transparenz und Vertragsanpassungen sind – maßgeblich auf deutschen Druck hin – die Urheber*innen von Computerprogrammen (Artikel 23 Absatz 2).
So gut sich dieser Abschnitt der Richtlinie also im Grundsatz liest, ist eher nicht damit zu rechnen, dass er die Verhandlungsposition von Urheber*innen im Vergleich zur bereits bestehenden Rechtslage in Deutschland tatsächlich spürbar stärkt.
Das Leistungsschutzrecht bleibt eine Fehlkonstruktion
Das Leistungsschutzrecht für Presseverlage wurde bereits in Deutschland vor seiner Einführung damit beworben, die Einnahmen daraus würden Journalist*innen zu Gute kommen. Nichts dergleichen ist passiert. Nicht nur ist das Recht explizit auf die Interessen der Verlage zugeschnitten, es hat in der Praxis gar keine Einnahmen produziert. Stattdessen ist Google, also dem Unternehmen, mit dem das Leistungsschutzrecht immer begründet wurde, sogar eine spezielle Gratislizenz erteilt worden.
Es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass sich mit dem neuen europäischen Leistungsschutzrecht (Artikel 14, vormals 11) daran etwas ändert. Zwar ist der Anwendungsbereich weiter als das bisherige deutsche Leistungsschutzrecht, das sich nur auf Suchmaschinen und Aggregatoren bezieht. Doch welche zusätzlichen Einnahmequellen sich daraus realistischerweise ergeben sollen, ist unklar. Damit würde auch die in Absatz 5 angekündigte Beteiligung der Urheber*innen voraussichtlich ins Leere führen.
Neue Verwertungsformen werden ignoriert
Ein zentraler Grund, aus dem das heutige Urheberrecht nicht mehr zeitgemäß ist, ist der mit der Digitalisierung einhergehende Wandel kultureller Praktiken, der urheberrechtlich relevante Handlungen zu einem normalen Bestandteil des Alltags macht. Wer ein Foto mit der Handykamera macht, ist Urheber*in; wer dieses Foto auf einer Plattform weiterverbreitet, nimmt eine Nutzungshandlung im Sinne des Urheberrechts vor. Statt eine Antwort hierauf zu geben, verschärft die Urheberrechtsreform das Problem eher noch.
Da die Hürden, um eigene Werke zu erstellen und zu verbreiten, viel niedriger sind, als sie es je waren, hat sich auch der Kreis der kreativ Tätigen, die ihre Werke mit der Welt teilen, deutlich verbreitet. Gleichzeitig ist auch die Einbeziehung und Referenzierung anderer Werke leichter und damit bedeutsamer geworden. Das beinhaltet nicht nur die oft angeführte Meme-Kultur oder Parodie und Satire, sondern auch – um nur einige wenige konkrete Beispiele aus dem Videobereich zu nennen – Filmkritiken, die mit Ausschnitten aus dem Originalwerk arbeiten, Unterrichtseinheiten für Musikinstrumente, in denen mit Ausschnitten aus Musikstücken gearbeitet wird, oder „Let’s Play“-Videos, in denen das Spielen eines Computerspiels vorgeführt wird.
Was bereits jetzt aufgrund extrem enger Schrankenbestimmungen (insbesondere das Zitatrecht im deutschen Urheberrechtsgesetz deckt bei weitem nicht so viel ab, wie oft angenommen wird) in einer rechtlichen Grauzone steckt, wird nun noch zusätzlich erschwert. Und dies trifft nicht nur alltägliche Privatnutzungen, sondern auch Kreative, die damit ihr Geld verdienen.
Hinzu kommt, dass eine relevante Anzahl von Urheber*innen Einnahmen nicht mehr vorrangig aus dem klassischen Modell der Abtretung von Exklusivrechten an einen Verwerter, sondern über andere Modelle wie z.B. Crowdfunding oder werbefinanzierte Streamingplattformen erzielen. Diesen spielt die Reform gleich einen doppelten Streich: Ihre Vertriebskanäle (nicht nur Youtube, sondern auch Plattformen wie twitch oder Patreon) werden durch Artikel 17 (13) getroffen, gleichzeitig bleiben sie aus der Verteilung der durch die erhofften Lizenzvereinbarungen erzielten Mittel oft ausgeschlossen. So ist es z.B. nur dann möglich, Mitglied der Verwertungsgesellschaft Bild-Kunst zu werden, wenn die eigenen Werke über das klassische Fernsehen ausgestrahlt werden.
Was fordern wir stattdessen?
Was also sollte tatsächlich im Urheberrecht getan werden, um Kreativen ein gerechtes Einkommen zu sichern? Aus unserer Sicht stehen dabei drei Aspekte im Vordergrund:
Erstens: Eine Stärkung der Urheber*innen im Urhebervertragsrecht. Hierfür wäre das, was zwischenzeitlich in der Reform noch vorgesehen war, eine gute Grundlage: Ein Ausschluss von Total-Buy-Out-Verträgen durch gesonderte Vergütungen für Nutzungen, durchsetzbare und umfassende Auskunftsrechte für Urheber*innen und Möglichkeiten für Widerruf und Neuverhandlungen. Entsprechende Vorschläge haben auch wir in der Vergangenheit immer wieder formuliert, zuletzt 2016 in einem Antrag im Bundestag.
Zweitens: Eine Demokratisierung der Verwertungsgesellschaften und transparente und funktionale Vergütungssysteme. Verwertungsgesellschaften schließen durch ihre Binnenstruktur oft eine Vielzahl von Urheber*innen von der Mitbestimmung aus. Die Systeme, über die Vergütungen erhoben und ausgeschüttet werden, sind oft nicht nur undurchsichtig, sondern werden oft durch langwierige Aushandlungsprozesse und Rechtsstreitigkeiten blockiert. Für beides ergibt sich gesetzlicher Regelungsbedarf, entsprechende Vorschläge haben wir schon 2012 eingebracht.
Drittens: Die Modernisierung der Schrankenregelungen verbunden mit einer gerechten Vergütung. Wie schon erwähnt decken die Schranken des Urheberrechts eine Reihe von Nutzungen nicht ab, ohne dass es tatsächlich sinnvoll wäre diese unter einen Lizenzierungsvorbehalt zu stellen. Mit erweiterten Schranken wäre es möglich, Nutzer*innen aus der Haftung zu nehmen und gleichzeitig entsprechende Vergütungen zu erheben, auch von Plattformen.
Für die Ausgestaltung solcher Regelungen gibt es verschiedenste Vorschläge. Neue Schranken für Remix (transformative Werke) oder Fair Use ließen sich mit einer Vergütung verbinden, die bei Plattformen erhoben wird. Die existierende Geräteabgabe für Privatkopien könnte modernisiert werden, um die Internetwirtschaft stärker in die finanzielle Verantwortung zu nehmen. Auch die verschiedenen Konzepte, die in der Vergangenheit unter dem Begriff der „Kulturflatrate“ diskutiert wurden, gehören dazu.