Gedanken vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes in Sachen „§ 217 StGB (geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung)“

Am 26. Februar 2020 wird das Urteil des Bundesverfassungsgerichts erwartet, dass über die Verfassungskonformität der Regelung des Paragrafen §217 StGB entscheidet.

Aus diesem Grund möchte ich im Vorfeld der Urteilsverkündung auf die Entstehungsgeschichte des Gesetzes blicken und auch meine Vorstellungen zu einer gesetzlichen Regelung darlegen.

Am 06. November 2015 wurde im Bundestag das Gesetz zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (§217 StGB) verabschiedet. Das hatte zur Folge, dass das Selbstbestimmungsrecht über das eigene Lebensende legislativ stark eingeschränkt wurde. Von nun an wurde die auf Wiederholung angelegte Hilfe bei der Selbsttötung mit bis zu drei Jahren Gefängnis geahndet. Das Verbot gilt für Einzelpersonen und Vereine. Gewissensentscheidungen im Einzelfall sind ausgenommen.

Im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens habe ich damals gemeinsam mit Kai Gehring und Renate Künast (beide Bündnis 90/Die Grünen) einen Gesetzentwurf vorgelegt, welcher unter dem Motto „Mehr Fürsorge statt mehr Strafrecht“ unsere Vorstellungen  zur Suizidassistenz beschreibt. Dieser Gesetzentwurf ist hier zu finden: https://www.petra-sitte.de/wp-content/uploads/2015/06/Gesetzentwurf-Suizidassistenz-Kuenast-Sitte-Gehring1.pdf

Dieser Gesetzentwurf sieht vor, die seit fast einhundertfünfzig Jahren in Deutschland geltende Straffreiheit der Beihilfe zum Suizid zu belassen, sie aber mit klaren Regeln rechtssicher zu gestalten. Denn seit der Schaffung des Strafgesetzbuches im Jahr 1871 war es legal, Menschen beim Suizid Hilfe zu leisten. Für Angehörige und dem sterbewilligen Menschen nahestehende Personen genauso wie für Ärztinnen, Ärzte und Vereine. Aber die Beihilfe aus Gründen des eigenen Profits muss dabei verboten bleiben. Denn dies birgt die Gefahr, dass für den Suizid geworben werden könnte oder Menschen gar dazu verleitet würden.

In der öffentlichen Präsentation des Gesetzentwurfes vor Abgeordneten, Journalistinnen und Journalisten und interessierten Verbänden hat der Hamburger Strafrechtler und Mitglied des Ethikrates, Prof. Dr. Reinhard Merkel, den Gesetzentwurf sowie die damalige Debatte um die Suizidbeihilfe kommentiert: „Ich unterstütze die Ziele des Entwurfs und die Grundlinien seiner Regelungen nachdrücklich. Sie stehen im Einklang mit den legitimierenden Prinzipien unserer Rechtsordnung und mit den Maßgaben einer humanen Ethik, die nicht abstrakte Dogmen in den Mittelpunkt stellt, sondern die Bedürfnisse des Menschen auch in Zeiten seiner existentiellen Not: seine höchstpersönliche Würde, sein Verlangen nach Hilfe zum Leben, aber auch die Grenzen seines Vermögens, das Leid eines qualvoll gewordenen Sterbens zu ertragen.“

In der Abschlusslesung der Gesetzentwürfe habe ich mich damals für ein starkes Selbstbestimmungsrecht des Menschen ausgesprochen. Ich bin der Überzeugung, dass der Mensch über sich selbst, über seinen eigenen Körper und Geist souverän entscheiden können muss. Er besitzt in seiner Natur begründete angeborene Rechte. Im 19. Jahrhundert fand diese Idee Eingang in die deutsche Rechts- und Verfassungsgeschichte. Danach kann der Rechtsstaat diese Rechte nicht etwa verleihen, sondern er hat sie zu garantieren. Insbesondere auch die Väter und Mütter des Grundgesetzes, obwohl sie alle anderen Gründe gehabt hätten, haben großen Wert auf die Souveränität des Individuums gelegt.

Als Hauptgründe für eine Strafrechtsverschärfung wurde die unklare Rechtslage der Ärztinnen und Ärzte genannt. Je nach Landesärztekammer ist sie im Standesrecht verschieden geregelt: Das geht von „keine Regelung“ bis zum Verbot. Allerdings könnte das Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts von 2012 für Klarheit sorgen. Es heißt dort: „Der ärztlichen Ethik lässt sich kein klares und eindeutiges Verbot der ärztlichen Beihilfe zu Suizid in Ausnahmefällen entnehmen.“

Damit ist alles gesagt.

Der von uns vor fünf Jahren vorgelegte Gesetzentwurf ist vor dem Hintergrund einer Verbotsdebatte auch in diesem Geist entstanden: besser den bewährten Rechtszustand schützen, als der Bevölkerung, auch der konfessionell gebundenen Bevölkerung, gegen ihren mehrheitlichen Willen das Strafrecht aufzuzwingen.

Der Bundestag hat mit der Gesetzesänderung 2015 essenziell Selbstbestimmungsrechte aus Artikel 1 des Grundgesetzes eingeschränkt, und zur Würde des Menschen gehört eben nicht nur sein Leben und dessen selbstbestimmte Gestaltung, sondern es gehören auch Sterben und Tod dazu.