189. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 5. November 2020 TOP 8 Bericht der Enquete-Kommission Künstliche Intelligenz – Gesellschaftliche Verantwortung und wirtschaftliche, soziale und ökologische Potenziale Drucksache 19/23700 .
Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Künstliche Intelligenz oder – besser – maschinelles Lernen ist in der Tat eine epochale Technologie; insofern ist es allemal gerechtfertigt, dass der Bundestag eine Enquete-Kommission eingesetzt hat.
Für die Zuhörer will ich vielleicht noch Folgendes vorher sagen: Von künstlicher Intelligenz wird gesprochen, wenn Computer Probleme lösen, die bisher nur menschliche Intelligenz bewältigen konnte. Dafür werden diese mit Algorithmen, also Handlungsvorschriften, programmiert, und je mehr sie dann trainieren, je mehr Erfahrungen bzw. Daten sie sammeln und auswerten, desto genauer werden die Ergebnisse – denkt man. Aber: Menschen irren aus vielen Gründen, Menschen verfolgen Interessen, insbesondere auch, wenn sie KI programmieren und einsetzen. Liefern nun Programmierer fehlerhafte Algorithmen oder liegen einseitige Basisdaten zugrunde, dann irren künstliche Intelligenzen zwar immer noch nicht, aber das, was rauskommt, erscheint uns als höchst fragwürdig, und demzufolge gibt es dann ein Akzeptanzproblem.
Wenn wir unser künftiges Entscheiden und Handeln nachhaltig von KI beeinflussen lassen, dann ist es notwendig, dass wir unsere Souveränität erhalten, insbesondere indem wir uns auch den Zugriff auf Algorithmen erhalten.
(Beifall bei der LINKEN) Das heißt, wir wollen, dass KI-Systeme auch gesellschaftlich und politisch kontrolliert werden können. Kurzum: Da künstliche Intelligenz, wie schon angedeutet, positive und negative Erwartungen auslöst, muss eine interessierte Öffentlichkeit, wie eben gesagt, möglichst früh an solchen Diskussionen beteiligt werden und an den Schlussfolgerungen zu KI-Systemen teilhaben. Die Mehrheiten der Kommission haben das aber tapfer verschleppt, mindestens über anderthalb Jahre. Öffentlichkeit wurde erst zugelassen, als Ergebnisse vorlagen, und das, meine Damen und Herren, darf einer Enquete-Kommission des Bundestages nie wieder passieren.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Mario Brandenburg [Südpfalz] [FDP])
Was war uns Linken besonders wichtig? Erstens: eine Balance zwischen Gemeinwohlorientierung und ökonomischen Interessen. Unbestritten war, dass KI gesellschaftsverändernden Charakter hat; auch deshalb muss Öffentlichkeit möglichst früh beteiligt werden. Leider war diese Gemeinwohlorientierung – als Gewinn oder eben auch Gefährdung des Wohls der Allgemeinheit oder einzelner Menschen – in der Kommission bei Gott kein Selbstläufer. Immer wieder mussten wir darauf drängen. Die Mehrheiten folgten schließlich dann doch einer Standortlogik; immerhin ist KI ein Milliardenmarkt. Daher, meine Damen und Herren, werden sich die Konflikte, die wir schon vor der Digitalisierung und vor KI hatten, nicht einfach durch KI lösen, sondern sie werden sich erneut vertiefen, und das betrachten wir als vertane Chance.
(Beifall bei der LINKEN)
Zweitens. Zwar mag es die eine oder andere KI Anwendung „made in Germany“ geben, keinesfalls aber werden KI-Einzellösungen gegen die Machtkonzentration in der Datenökonomie konkurrieren können. Zugespitzt will ich hier mal fragen: Wollen wir eine KI nach chinesischen Vorstellungen, eine hochentwickelte Technologie, die in ungekanntem Ausmaß über Menschen Daten sammelt, jede Facette des öffentlichen und Arbeitslebens unter politischer Totalüberwachung? Oder wollen wir vielleicht eine KI nach US-Vorbild, eine hochentwickelte Technologie, die in ungekanntem Ausmaß Daten über Menschen sammelt, jede Facette privaten und öffentlichen Lebens in der ökonomischen Totalverwertung und Überwachung von Beschäftigten?
Wir Linke haben da eine andere Vorstellung. Es muss ein europäischer Weg der Kooperation, aber auch der Regulierung dieses intransparenten, oligopolen Plattformmarktes eingeschlagen werden, und zwar hier und heute mit mutigen, konsequenten und schnellen Entscheidungen. Wir haben keine Zeit zu verlieren.
(Beifall bei der LINKEN)
Drittens. KI soll einen Beitrag zur sozioökonomischen und sozioökologischen Umwälzung leisten und den Klimawandel quasi als zivilisatorische Herausforderung berücksichtigen. Auch hier ist die Kommission unter den Erfordernissen und ihren Möglichkeiten geblieben. Soziale Spaltung, national oder global, soziale Kontexte dürfen bei KI-Anwendungen nie ausgeblendet werden, sonst bewirkt die Logik bisherigen Wirtschaftens, also die ungebremste Wachstumsideologie, dass sich Ungerechtigkeiten an Macht und an Wohlstand weiter vertiefen. Insofern kann es natürlich niemanden überraschen, dass in den Projektgruppen „Arbeit“ und „Wirtschaft“ das Konfliktpotenzial besonders groß war.
Viertens. Verbindliche ethische Standards für KI-Systeme sind dringend notwendig. Die Nutzungsszenarien können individuelle Rechte schützen; aber sie können sie eben auch beschneiden. Ungleichheiten können sich vertiefen. Für hochsensible Bereiche, wie beispielsweise das Gesundheitswesen, die Finanzwelt, staatliche und soziale Institutionen, sind bereits Risikoklassemodelle entwickelt worden. Wir müssen hier anfangen, uns politisch zu entscheiden. Wir sagen: Je höher die Risiken sind, desto konsequenter muss auch im Sinne der Menschen reguliert werden. – Das hätte die Kommission intensiver bearbeiten müssen.
(Beifall bei der LINKEN)
Besonders deutlich zeigt das die Empfehlung zum Einsatz von KI bei Waffensystemen. Man hat hier einen viel zu schwammigen Begriff aufgenommen, der zwar in der internationalen Aushandlung üblich ist, nämlich den Begriff „Ächtung“, aber wir als Linke sagen: Hier und heute ist es notwendig, von der Bundesregierung ein sofortiges Verbot solcher Waffensysteme klar zu fordern und das zum Ausgangspunkt von Verhandlungen zu machen. Wir wollen keine autonomen Terminator-Systeme.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, jetzt werden die Weichen gestellt. Die Linke wird sich daher beim Einsatz von KI Systemen für Transparenz, Diskriminierungs- und Barrierefreiheit, hohe soziale und ethische Standards, für gestärkte soziale Sicherungssysteme und schließlich natürlich für die konsequente Einhaltung von Grundund Menschenrechten einsetzen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der LINKEN)