In Berlin und (H)alle dabei – Nolite te bastardes carborundorum

Und wieder steht der 25. November vor der Tür. Und wieder müssen wir über Gewalt an Frauen sprechen. Denn wieder einmal werden Frauen in ihren Rechten unterdrückt und sie müssen wieder einmal auf die Straßen gehen und für ihre Freiheit kämpfen. In Polen geht es derzeit um die Verschärfung des Abtreibungsgesetzes.

Das polnische Abtreibungsgesetz, eines der schärfsten in Europa, besagte bisher, dass eine Schwangerschaft unter drei Bedingungen beendet werden darf: Wenn eine Schwangerschaft aufgrund einer Vergewaltigung oder durch Inzest entstanden ist, wenn das Leben der Frau in Gefahr ist und wenn der Fötus schwere Missbildungen aufweist. Letzteren Grund erklärte das oberste Gericht für verfassungswidrig und soll nun gestrichen werden. So will es die regierende nationalistisch-konservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), so will es die katholische Kirche, doch so wollen es zehntausende protestierende Menschen in Polen nicht und marschierten nach Warschau. Mit dem Ruf Moja macica nie kaplica! (Meine Gebärmutter ist keine Kapelle!) fordern sie eine deutlichere Trennung von Staat und Kirche, den Rücktritt der regierungsnahen Präsidentin des Verfassungsgerichtes und damit verbunden die Installation eines neuen und unabhängigen Gerichts. Sie wollen eine bessere Finanzierung des Gesundheitssystems, mehr Unterstützung für Menschen mit Handicap und von der Pandemie betroffenen Personen. Und sie fordern eine Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen sowie den Rücktritt der Regierung.

Seit mehreren Tagen protestieren die Menschen nun, stören Gottesdienste, blockieren Straßenkreuzungen, hängen Kleiderbügel an das Tor der Residenz des Erzbischofs von Breslau, führen einen Generalstreik durch und machen auf vielfältige Weise ihrer Wut Luft. Der Regierung gefällt das natürlich gar nicht und lässt nun Kirchen durch rechte Bürgerschaftswehren beschützen. Auch die Militärpolizei soll auf den Straßen eingesetzt werden. Es herrscht ein Ausnahmezustand, der durch die zusätzliche Bedrohung der Covid-19-Pandemie an Sprengkraft gewinnt.

Präsident Duda will nun eine Gesetzesänderung vorschlagen, bei der Schwangerschaften mit schwer missgebildeten Föten beendet werden dürfen, wenn eine Lebensfähigkeit nicht absehbar ist. 2019 wurden in polnischen Kliniken 1.110 Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen, in 1.074 Fällen davon aufgrund schwerer Missbildungen der Föten. Doch selbst wenn Duda die geplante Gesetzesänderung noch einmal ‚abschwächen‘ würde, so ist noch nicht gesichert, dass Frauen in jenen Fällen auch garantiert abtreiben können. Polnische Ärzte:innen können aus Gewissensgründen einen Abbruch ablehnen und da in Polen die katholische Kirche großen Einfluss hat, kommen solche Gewissensentscheidungen vermutlich nicht selten vor.

Es ist Gewalt an Frauen, wenn ihnen die Freiheit über körperliche Selbstbestimmung genommen wird. Es ist Gewalt an Frauen, wenn sie per Gesetz gezwungen werden, Kinder auszutragen. Es ist Gewalt an Frauen, wenn sie aufgrund einer patriarchalen und rückwärtsgewandten Politik nach illegalen und lebensgefährlichen Wegen suchen müssen, um Schwangerschaften zu beenden. In Polen seien es laut Schätzungen von Frauenrechtsorganisationen jährlich 200.000 Frauen, die illegale Wege suchen. Es ist Gewalt an Frauen, wenn sie auf dem Weg in eine Frauenarztpraxis von sogenannten Lebensschützer:innen angegriffen und unter Druck gesetzt werden. Es ist Gewalt an Frauen, wenn immer weniger Gynäkolog:innen bereit sind Schwangerschaften abzubrechen, sofern sie überhaupt noch im Studium entsprechend dafür ausgebildet werden. Auch bei uns in Deutschland gibt es immernoch Missstände in diesem Bereich, denke ich da zum Beispiel an die Debatten um die Paragraphen 218 und 219a des Strafgesetzbuches, wozu auch Mitglieder meine Fraktion sich immer wieder äußern und für deren Streichung wir nach wie vor kämpfen. Eine generelle Liberalisierung des polnischen Abtreibungsgesetzes wäre der richtige Weg. Das ebenfalls katholisch geprägte Irland hat es hier bereits positiv vorgemacht. Die Frauenbewegung in Polen braucht Solidarität und Unterstützung.

Am 25. November ist der Tag gegen Gewalt an Frauen. Auch dieses Jahr zeigt uns wieder eindrücklich, dass noch immer Ungleichheit, Diskriminierung und Gewalt herrschen und es weiterhin Mut und Kampfgeist braucht. Nolite te bastardes carborundorum¹ (auf deutsch in etwa Lass dich von den Bastarden nicht unterkriegen) ist ein pseudo-lateinischer Ausspruch aus dem Buch und der Serie Der Report der Magd der US-amerikanischen Autorin Margret Atwood. Sie schrieb das dystopische Buch 1985. Es handelt von einem zukünftigen Amerika, in dem Frauen in einer bibeltreuen und total-patriarchialen Gesellschaft ihrer Rechte vollkommen beraubt wurden und die wenigen fruchtbaren Frauen als Gebärmaschinen versklavt und rituell vergewaltigt werden. Es handelt aber auch vom Widerstand der Frauen gegen dieses Unrecht. Die gesellschaftspolitischen Parallelen zu Heute sind erschreckend, die roten Gewänder und weißen Hauben der Mägde mittlerweile ein Symbol des Protests gegen Gewalt – in Polen wie auch in anderen Ländern. Lasst euch von den Bastarden nicht unterkriegen!

¹ Mehr dazu https://www.welt.de/kultur/article175667790/Nach-The-Handmaid-s-Tale-war-MeToo-nur-noch-eine-Frage-der-Zeit.html