In die öffentliche Debatte um das Urheberrecht schien nach den heftigen Auseinandersetzungen der letzten Jahre wieder Ruhe gekommen zu sein. Nun nimmt sie wieder Fahrt auf.
Das ist auch nicht unerwartet, denn die Bundesregierung ist dabei, eine konkrete Umsetzung der europäischen Reform in Gesetzesform zu gießen, und dabei prallen natürlich alle Interessenlagen aufeinander. Aber nun beginnt sich, insbesondere in der Diskussion um Artikel 17 und die Uploadfilter wieder eine Polarisierung abzuzeichnen, die schon in der Diskussion auf Europaebene ausgesprochen unglücklich war.
Nun haben wir als Linke Artikel 17 von Anfang an strikt abgelehnt und hoffen weiterhin, dass er vor dem Europäischen Gerichtshof keinen Bestand haben wird. Trotzdem muss man anerkennen, dass sich das Bundesjustizministerium in seinem ersten Entwurf ernsthaft bemüht hat, sich an den Versprechen der Bundesregierung zu orientieren und Nutzer*innenrechte abzusichern. Genau dagegen hat sich aber erheblicher Widerstand formiert, sowohl seitens der Verwerter als auch der Plattformen, und die Nutzer*innenrechte drohen gerade, deutlich zusammengekürzt zu werden. Verständlicherweise führt auch das zu Gegenprotesten.
Also tun sich alte Gräben wieder auf und es scheint wieder ein Konflikt aufgeführt zu werden, in dem Urheber*innen auf der einen Seite und Nutzer*innen auf der anderen Seite stehen. Ein derzeit kursierender Brief, in dem zahlreiche Künstler*innen sich den Forderungen der Musikwirtschaft zur Verschärfung von Artikel 17 anschließen, bringt das deutlich zum Ausdruck.
Diese Debattenlage aber ist fatal. Nicht nur, weil es diejenigen ausklammert, um die es eigentlich bei dieser Regelung gehen sollte – große Internetkonzerne wie Google und Facebook. Sondern auch, weil im Allgemeinen jede Entwicklung hin zu einem zukunftsfähigen, nicht an Kapitalinteressen orientierten Urheberrecht von vornherein blockiert ist, solange wir diese Gräben nicht überwinden.
Wie finden wir einen Weg aus diesem Dilemma? Dafür gibt es meiner Meinung nach fünf wichtige Voraussetzungen:
1. Die Debatte muss ehrlich sein und sich an der Sachlage orientieren.
Eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Aber leider ist das derzeit nicht immer der Fall.
Dabei geht es mir nicht um Missverständnisse und Verkürzungen bezogen auf eine hochkomplexe Regelungsmaterie; auch nicht um alarmistische Zuspitzungen. Davon ist in der Tat keine Seite in der Debatte frei, was sich wohl auch nicht ganz verhindern lässt.
Etwas ganz anderes sind aber gezielte Desinformationskampagnen. Und diese kommen beim Urheberrecht erfahrungsgemäß immer aus der gleichen Richtung – von den Lobbyverbänden der Großverlage und aus bestimmten Publikationen, namentlich immer wieder der FAZ. Ob es um das Leistungsschutzrecht für Presseverlage geht, um Urheberrechtschranken für Bildung und Wissenschaft oder nun um die Urheberrechtsreform: Immer wieder erleben wir hier Kampagnen, in denen bewusst mit klaren Falschaussagen hantiert wird. Das aktuellste Beispiel ist der schon angesprochene Brief, in dem beispielsweise die Behauptung aufgestellt wird, der vorliegende Entwurf würde es Rechten leichter machen, geschützte Werke missbräuchlich zu verwenden – obwohl die Urheberpersönlichkeitsrechte, die das verhindern, dort explizit unberührt bleiben. Man wird den unterzeichnenden Künstler*innen keinen Vorwurf machen können, nicht in dieser Detailtiefe über den Gesetzestext informiert zu sein – aber die Musikunternehmer*innen werden gewusst haben, dass sie damit Falschinformationen verbreiten.
Wenn Debatten über das Urheberrecht nicht auf Dauer vergiftet bleiben sollen, ist es notwendig, dass sich alle, die an einer ernsthaften Diskussion interessiert sind, von derartigen Kampagnen laut und deutlich distanzieren – auch wenn sie ihre inhaltliche Zielsetzung unterstützen.
2. Es muss Kompromissbereitschaft geben.
Bei urheberrechtlichen Themen stehen sich oft sehr absolute Haltungen unversöhnlich gegenüber, was Kompromissfindungen erschwert.
Nun ist es weder per se falsch, bei diesen Themen radikale Haltungen zu haben – das haben wir selbst an einigen Stellen – noch kann man erwarten, dass nicht alle Beteiligten ihre Positionen auch konsequent vertreten. Aber nicht selten werden selbst kleinste inhaltliche Bewegungen skandalisiert und undifferenzierte Sichtweisen schaffen Misstrauen.
Auch wer beispielsweise – wie wir – Artikel 17 im Ganzen ablehnt, sollte sich differenziert mit den Details der Umsetzung befassen und positive Ansätze auch anerkennen. Umgekehrt sollten beispielsweise die Befürworter bedenken, dass sie selbst immer damit argumentiert haben, dass die Absicherung von Nutzerrechten darin garantiert wird, bevor sie jede konkrete Maßnahme in diese Richtung verdammen.
3. Alle Beteiligten müssen sich klarmachen, wo ihre Interessenlagen verschieden sind.
Die Polarisierung der Debatte darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es weit mehr als zwei Interessenlagen im Urheberrecht gibt. Zwischen den Kreativen und den Rezipienten stehen diverse Gruppen von Verwerten mit sehr verschiedenen Geschäftsmodellen; nicht nur Verlage und Internetplattformen haben verschiedene und gegenläufige Interessen, auch – beispielsweise – eine Plattenfirma, eine Verwertungsgesellschaft und ein Fernsehsender werden mit verschiedenen Anliegen und Prioritäten aufs Urheberrecht schauen.
Gerade die Diskussion zu Artikel 17 hat gezeigt, dass dies zu seltsamen und wechselhaften Allianzen führen kann. Während die Vertreter von Nutzer*inneninteressen und die von großen Internetplattformen während der Diskussion auf europäischer Ebene noch erhebliche Überschneidungen in ihren Anliegen hatten, zeigt sich nun, dass Verlage und Plattformen wie Google gleichermaßen gegen verbindliche Verfahren zur Sicherung von Nutzer*innenrechten kämpfen. Auch die Bagatellschranke ist ein Beispiel, an dem unterschiedliche Interessen zu Tage treten können – während Verlage immer auf Lizenzen setzen werden, kann eine vergütete Erlaubnis im Urheberrecht trotzdem sowohl im Interesse der Urheber*innen als auch der Nutzer*innen sein, wenn sie praktikabel ist und Nutzungen vergütet, die andernfalls in einem rechtlichen Graubereich geblieben werden.
Alle Seiten in der Debatte sind also gut beraten, sich immer die Unterschiede zwischen ihrer Interessenlage und der von anderen zu vergegenwärtigen – auch dort, wo man sich nicht direkt gegenübersteht und auch, wenn man an anderer Stelle Bündnisse bildet.
4. Wir müssen das Urheberrecht als Feld der Auseinandersetzung zwischen Kapital und Arbeit ernst nehmen.
Die umstrittensten Fragen des Urheberrechts haben in der Regel mit Verteilungsfragen zu tun. Ausgerechnet das Urhebervertragsrecht, auf dessen Grundlage sich entscheidet, welchen Anteil die Urheber*innen an den mit ihrer Arbeit erwirtschafteten Gewinnen bekommen, spielt aber in der öffentlichen Diskussion um das Urheberrecht eine Nebenrolle – jedenfalls abseits der Interessenvertretungen beider Seiten.
Aus Linker Sicht sind diese Frage natürlich zentral. Das geltende Urhebervertragsrecht lässt die Kreativen in der Praxis schutzlos und muss dringend neu gefasst werden, um ihre Verhandlungsposition zu stärken.
Eine kluge Urheberrechtsdebatte muss diese ökonomischen Fragen immer mitdenken – nicht zuletzt, weil sie bei vielen Themen auch unausgesprochen im Hintergrund stehen.
5. Wir brauchen ein gemeinsames Reformprojekt für das Urheberrecht jenseits von Unternehmensinteressen.
Das Feld der Auseinandersetzungen über das Urheberrecht wird derzeit fast ausschließlich von widerstreitenden Kapitalinteressen bestimmt. Das ist eine gefährliche Schieflage, denn wichtige Anliegen wie eine gerechte Vergütung und der Zugang zu Wissen und Kultur drohen damit immer unter die Räder zu geraten oder vereinnahmt und gegeneinander ausgespielt zu werden.
Für die grundlegenden Herausforderungen, denen sich das Urheberrecht im Internetzeitalter gegenübersieht, ist immer noch keine Lösung geschaffen worden. Wir brauchen eine umfassende Reform – aber keine von Unternehmensinteressen getriebene. In einem solchen Projekt müssten sich „klassische“ Kreative und ihre Verbände ebenso wiederfinden wie diejenigen, die sich mit ihren Inhalten ausschließlich in sozialen Medien bewegen; Kultureinrichtungen ebenso wie Netzaktivist*innen.
Das würde eine Verständigung auf gemeinsame Ziele erfordern ebenso wie einen visionären Blick auf ein oft sehr kleinteilig diskutiertes Thema. Helfen können dabei vielleicht Impulse aus der Wissenschaft, wie ein kürzlich veröffentlichtes Memorandum mehrerer Urheberrechtsprofessor*innen.
Der Weg zu einem gerechten und zukunftsfähigen Urheberrecht ist lang – aber wir können uns gemeinsam entschließen, die ersten Schritte zu gehen.
Wer mehr über die Details der Umsetzung der DSM-Richtlinie in all ihren Facetten erfahren möchte, kann dies auf dem dazu eingerichteten Blog unserer Europafraktion tun, das auch von uns regelmäßig mit Inhalten gefüllt wird.