Ein Koalitionsvertrag kann immer nur grob skizzieren, was eine Regierung in den kommenden vier Jahren tun will. Nachdem aber die drei Koalitionsparteien jahrelang bestimmte Dinge gefordert, andere kritisiert und wieder andere ignoriert haben, fallen im Forschungs-, Innovations- und Technologiebereich schon jetzt einige Stichworte und Leerstellen auf.
Forschung für Nachhaltigkeit und soziale Innovationen – aber bitte gemeinwohlorientiert
Nachhaltigkeit in Industrie und Mobilität, Klimaneutralität und eine „nachhaltige Nutzung“ von Weltraum und Meeren nennt die Koalition ganz vorne als Forschungsziele. Das ist mit Sicherheit ein Fortschritt gegenüber der Forschungsausrichtung unter den bisherigen CDU- und SPD-Forschungsminister*innen. Auch soziale Innovationen werden ausdrücklich erwähnt, und zum guten Schluss finden sich „Geschlechtergerechtigkeit, Zusammenhalt, Demokratie und Frieden“. Das Hauptmerkmal, auf das die Koalitionär*innen sich haben einigen können, ist die Anwendungs- bzw. „Missions-„Orientierung von Forschung. Bisher hat das noch immer bedeutet, dass Wirtschaftsinteressen die Forschungsausrichtung bestimmen sollen. Aber schauen wir mal, ob hier nicht bald sinnvolle Produkte und Verfahren anwendungsbereit werden.
Trotzdem wird es nötig bleiben, dass die neue Regierung tatsächlich das eine tut, ohne das andere zu lassen: Die Koalition will die Grundlagenforschung stärken, gleichzeitig aber Transfer, Translation und Anwendungsorientierung verbessern. Sie will – insbesondere kleine – Universitäten und Hochschulen für Angewandte Wissenschaften (HAW) stärken, gleichzeitig aber auch Großforschungsanlagen und die außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Sie will die Zersplitterung der Forschungslandschaft eindämmen, aber gleichzeitig die Exzellenzinitiative fortführen. Sie will Bürokratie abbauen, aber gleichzeitig die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), den größten Drittmittelgeber, stärken, neue Sonderprogramme auflegen und mit der Deutschen Agentur für Transfer und Innovation eine weitere neue Förderinstitution errichten, nachdem die Agentur für Sprunginnovation erst 2019 ihren Betrieb aufgenommen hat.
Planbare Finanzierung immer noch Fehlanzeige
Für die Forschenden bedeuten Projektförderungen neben Unsicherheit und Kurzfristigkeit auch einen gewaltigen Aufwand für das ständige Beantragen und Evaluieren ihrer Projekte. Da hilft auch das sehr begrüßenswerte Bekenntnis der Koalition zu mehr Dauerstellen für Daueraufgaben wenig, denn kurzfristige Finanzierung steht allem im Wege, was mit „Dauer“ anfängt. Die Evaluation des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes wird bestenfalls belegen, was allen längst bekannt ist, die es nicht verleugnen wollen: 90 Prozent des Mittelbaus in Forschung und Lehre haben befristete Verträge. Dass die Koalition hierzu keine klaren Ansagen macht, stimmt mich extrem misstrauisch und missmutig. Zumal wir wissen, dass die von der Koalition angestrebte „Geschlechtergerechtigkeit und Vielfalt“ in den wissenschaftlichen Institutionen allzu oft an der Befristungspraxis scheitern. Die Gewerkschaften GEW und verdi, das Netzwerk „Gute Arbeit in der Wissenschaft“ (NGA Wiss) und die Kampagne #IchbinHanna machen seit Jahren auf die unhaltbaren Zustände aufmerksam und haben gute Vorschläge zur Verbesserung der Beschäftigungsbedingungen vorgelegt.
Positive Signale zu Kommunikation und Open Access
Gute Wissenschaft gelingt nur, wenn einerseits die Forschenden mit Respekt behandelt werden und andererseits die Gesellschaft, in deren Interesse und mit deren Steuergeldern geforscht wird, einbezogen und beteiligt wird. Dazu gehört Wissenschaftskommunikation, die die Menschen erreicht. Wenn es gelänge, noch in dieser Legislaturperiode zu einer Abstimmung über eine unabhängige Stiftung zur Förderung des Wissenschaftsjournalismus zu kommen, würde ich die Koalition dabei unterstützen. Jedes Forschungsteam zu Öffentlichkeitsarbeit zu verpflichten, droht hingegen, Sender wie Empfänger mit einer Flut an Mitteilungen, Tweets und Posts zu überfordern. Auch für die Wissenschaftskommunikation braucht es Strukturen.
Das Bekenntnis zu Open Access und offener Wissenschaft ist grundsätzlich zu begrüßen, aber leider völlig unkonkret. Dass das Urheberrecht wissenschaftsfreundlicher werden soll, freut mich zu lesen: Bereits im Frühjahr nächsten Jahres sollen die entsprechenden gesetzlichen Regelungen des Urheberrechts-Wissensgesellschaftsgesetzes evaluiert werden, und dann wird sich zeigen, was darunter genau zu verstehen ist. Verbesserungsbedarf gäbe es genug. Auch beim Datenzugang für die Forschung enthält der Vertrag einige positive Ansätze.
Woher kommt wohl der Innovations- und Digital-Optimismus?
Durch den ganzen Koalitionsvertrag zieht sich ein ungebremster Innovationsenthusiasmus, gerade mit Bezug auf Digitaltechnologien. Hier lässt sich die „Digital First, Bedenken Second“-Maxime der FDP deutlich herauslesen. Das muss nicht immer schlecht sein, aber birgt auch die Gefahr einer zu unkritischen Herangehensweise. Beispielhaft dafür kann die mehrfache Bezugnahme auf Blockchain-Technologien dienen, bei denen es sich bisher eher um einen Hype auf der erfolglosen Suche nach einer Anwendung als um eine echte Zukunftstechnologie zu handeln scheint. Gleichzeitig bleibt die oft erhebliche ökologische Dimension dieser Technik völlig unerwähnt. Eine vor allem an Startup-Pitches ausgerichtete Innovationspolitik wäre jedenfalls nicht der politische Aufbruch, den wir brauchen.
Enquete-KI und rote Linien – war da was?
Mit Blick auf Zukunftstechnologien wie Künstliche Intelligenz bleibt es weitestgehend bei Allgemeinplätzen, obwohl die Enquete-Kommission dazu in der letzten Wahlperiode umfassende Handlungsempfehlungen gegeben hat, die schon die Vorgänger-Regierung leider kaum aufgegriffen hat. Mit Vorsicht zu genießen ist der Wunsch, auf eine ex-ante-Regulierung zu verzichten, was bei gleichzeitiger Befürwortung eines risikobasierten Ansatzes sowieso Wunschdenken bleiben dürfte. So oder so wird sich die neue Bundesregierung an der EU-Regulierung von KI zu orientieren haben. Damit Anbieter sich dieser nicht entziehen können, müsste viel eher für Markttransparenz gesorgt werden: Denn wo wirklich KI drin ist und wer nur dick aufträgt, ist bei vielen Anwendungen gar nicht ersichtlich. Eine rote Linie berührt die Koalition mit ihrer Einschränkung, Letale Autonome Waffensysteme abzulehnen, die „vollständig der Verfügung des Menschen entzogen“ sind – die Einschränkung auf die menschliche Verfügung ist ein Rückschritt gegenüber der bisherigen Regierung. Der menschliche Letztentscheid ist alles andere als definiert, die Auswirkungen nicht ausreichend erforscht und schon gar nicht reguliert.
Erfreulich hingegen ist das klare Bekenntnis zur Ablehnung von Gesichtserkennung im öffentlichen Raum.
In den kommenden Jahren dürfen wir wohl grundsätzlich auf eine aktivere Forschungs-, Technologie- und Innovationspolitik hoffen. Bei deren Umsetzung allerdings werden wir uns immer wieder für das Gemeinwohl einsetzen müssen – denn beim roten Licht hat die Ampel gespart.