Dr. Petra Sitte (Die Linke):
„Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Man kann es nicht oft genug sagen, um die Dramatik der Situation zu beschreiben: Seit Jahrzehnten ziehen wir eine traurige Bilanz. Jeden Tag sterben zwei bis drei Menschen, die auf ein Spenderorgan warten – heute auch. Diese Situation hinzunehmen, dazu sind wir nicht bereit.
(Beifall bei Abgeordneten der Linken, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich frage mich: Warum nehmen wir das denn hin? Warum muten wir das unseren Mitmenschen zu? Kann nicht jeder, wie schon erwähnt, selbst morgen betroffen sein? Die Gefahr dafür ist immerhin fünfmal größer als die Wahrscheinlichkeit, Organspender zu werden. So würden wir dann erleben, was etwa 8 400 Menschen belastet, nämlich jahrelanges Warten gemeinsam mit den Familien. Wir würden uns, wie viele Erkrankte jetzt schon, wünschen, dass es eine Kultur der Organspende in diesem Land gibt,
(Beifall bei Abgeordneten der Linken, der SPD und der CDU/CSU)
dass es ein solidarisches Füreinandereinstehen gibt, dass mehr Organspenden ermöglicht werden.
Es kann sein, dass ohne die Verbesserungen der letzten Jahre, insbesondere in den Strukturen im klinischen und transplantationsmedizinischen Bereich, bei der Finanzierung von Teams und der Freistellung von Transplantationsbeauftragten, Organspenden noch seltener wären. So genau kann das niemand sagen. Herr Gröhe, in diesem Punkt ist das Gesetz von 2020 umgesetzt worden.
(Beifall bei Abgeordneten der Linken und der Abg. Gitta Connemann (CDU/CSU))
Aber was sollte denn angesichts dieser Vorgeschichte dagegensprechen, jetzt einen Schritt weiter zu gehen, nämlich die Widerspruchsregelung einzuführen, auch in Verarbeitung der Erfahrungen aus anderen Ländern?
(Beifall bei Abgeordneten der Linken und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Tina Rudolph (SPD))
Es ist einfach falsch, zu behaupten, dass hier jemand bevormundet wird. Man kann selbstbestimmt handeln, und man kann selbstbestimmt entscheiden. Das ist der Unterschied zu den Erkrankten; das will ich noch mal ausdrücklich sagen. Deren Leben ist dramatisch eingeschränkt, und sie sind auf unsere Entscheidung angewiesen.
Die Widerspruchsregelung erfordert von uns nur, dass wir uns dieses Themas annehmen, dass wir uns entscheiden. Und haben wir Zweifel, dann widersprechen wir. Ändern wir unsere Meinung, dann kann der Widerspruch wieder zurückgenommen werden,
(Beifall bei Abgeordneten der Linken und der Abg. Gitta Connemann (CDU/CSU))
er kann eingelegt werden – alles ohne Begründung. Das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen bezüglich seiner körperlichen Unversehrtheit bleibt gewahrt. Niemandes Willen wird übergangen.
(Beifall bei Abgeordneten der Linken)
Aber auch auf Organe Wartende haben starke Rechte wie das Grundrecht auf Leben und Gesundheit. Und nur in diesem Punkt erwächst eine Pflicht zum Schutz durch den Staat, nur in diesem Punkt ist der Staat im Spiel, nicht in den anderen Fragen. Da gibt es eine Stiftung in diesem Land.
(Beifall bei Abgeordneten der Linken und der Abg. Sabine Dittmar (SPD))
Diese Rechte müssen gegeneinander abgewogen werden. Und für uns wiegt das Recht auf Leben für die Wartenden schwerer. Diesem Umstand tragen wir mit der Einführung der Widerspruchsregelung Rechnung.
Danke.“
(Beifall bei Abgeordneten der Linken, der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)