Rede: Nachhaltigkeit als Dauerthema

176. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 17. September 2020 TOP9 ZP10 Innovation, Bildung, Digitalisierung

 

Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sprechen heute über Nachhaltigkeit am Ende eines der heißesten Sommer, die Deutschland je erlebt hat. In Spitzbergen wurde im Juni die höchste Temperatur seit Beginn der Wetteraufzeichnungen verzeichnet. An der amerikanischen Westküste haben die historisch größten Waldbrände bislang eine Fläche von der Größe Mecklenburg-Vorpommerns verwüstet.

(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Skandal!)

Das ist das aufgeheizte Umfeld, in dem wir heute über nahezu alle Politikfelder hinweg das Thema Nachhaltigkeit diskutieren. Diese Debatte schulden wir insbesondere den jungen Menschen, die weltweit zu den Fridays-forFuture-Protesten auf die Straßen gegangen sind und bald wieder gehen werden; aber noch mehr schulden wir ihnen, zu handeln. Die Coronakrise hat die Klimakrise teilweise aus der öffentlichen Aufmerksamkeit verdrängt. Aber es ist klar: Beide haben miteinander zu tun. Das heißt, dass wir die Konjunkturpakete im Zuge der Coronakrise dazu nutzen sollten, endlich eine umfassende Strategie zur Nachhaltigkeit anzupacken.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Corona hat auch gezeigt – den Zweiflern will ich das hier mit auf den Weg geben –, wie wichtig und sinnvoll staatliches Handeln im Interesse von Gemeinwohl sein kann: bei der Bildungs- und Forschungsförderung, bei der Stützung des Wirtschaftslebens und der Innovationsentwicklung, bei der Koordination zwischen Regionen, Ländern oder eben auch international. Strategisch angelegte staatliche Impulse sollen Wirtschaft und Gesellschaft nachhaltig, umweltverträglich und sozial gestalten.

(Dr. h. c. Thomas Sattelberger [FDP]: Aber nicht wie in Venezuela!)

Dazu bedarf es des politischen Willens, den die Regierung bei der Umsetzung ihrer eigenen Nachhaltigkeitsstrategie seit vielen Jahren vermissen lässt. Natürlich reden hier alle über Innovationen. Selbstverständlich bedarf es Innovationen und Investitionen, aber aus unserer Sicht insbesondere in jene Bereiche, die die Gesellschaft und Demokratie tatsächlich grundieren: Bildung, Wissenschaft, Forschung, Kunst, Kultur, Gesundheit, Pflege und öffentliche Infrastrukturen. Sie merken, hoffe ich jedenfalls: Wir wollen Nachhaltigkeit weiter fassen.

(Beifall bei der LINKEN)

Es geht um nicht weniger als einen gesellschaftlichen Umbau für bessere Lebensperspektiven. Wenn wir nachfolgenden Generationen tatsächlich gerechtere Chancen bieten wollen, wie Frau Giffey gerade angekündigt bzw. versprochen hat, und Wissen für morgen vermitteln wollen, dann brauchen wir vor allem Bildung, Bildung, Bildung – von der frühkindlichen bis zum lebenslangen Lernen.

(Beifall bei der LINKEN)

Lust auf Lernen bewahren und Lernen nicht verlernen, darum soll es gehen. So gesehen hat die Koalition aus unserer Sicht noch sehr viel zu tun. Für Forschung zu Nachhaltigkeit bedarf es wissenschaftlicher Entscheidungsfreiheiten von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Die Freiheit von Wissenschaft und Forschung lässt sich nur garantieren, wenn am Ende die Einrichtungen auch grundständig öffentlich finanziert werden. Nicht wenige der Einrichtungen sind aber nur noch zu 50 Prozent ausfinanziert. Dadurch sind sie permanent im Rennen nach Zusatzfinanzierungen, ob aus öffentlichen Programmen, ob aus der Wirtschaft oder von Sponsoren jeglicher Couleur. Sie wissen es alle: Das hat bisweilen sehr fragwürdige Abhängigkeiten hervorgebracht. Öffentliche Hochschulen und Forschungseinrichtungen sollen gesellschaftlichen Zielen und Zwecken dienen. Punkt!

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, den Klimawandel zu bekämpfen und die Gesellschaft auf Nachhaltigkeit auszurichten, wird natürlich ohne Innovationen nicht gehen; das ist völlig klar. Aber: Innovationen lösen ja nicht automatisch alle Probleme, vor allem nicht, wenn sie ungebrochen Ihrer Wachstumsphilosophie untergeordnet werden. Jede Innovation, jede Technologie bringt doch auch neue Probleme hervor. Nachhaltigkeitsprobleme lassen sich eben nicht nur technisch-technologisch lösen. Das ist viel zu kurz gesprungen. Ich sage es noch mal, meine Damen und Herren: Es geht um eine gesellschaftliche Transformation, also auch um gesellschaftliche, um soziale Innovationen, um Dinge, die uns alle angehen, die uns jeden Tag begegnen. Infolgedessen kann, wie schon angesprochen, Digitalisierung natürlich nicht die Lösung für alles sein; das ist klar.

Auch Digitalisierung ist ein Mittel, das unser Handeln im Guten wie im Schlechten beeinflussen kann. In vielen Bereichen aber hilft die Digitalisierung durchaus, Nachhaltigkeit herzustellen, weil sie es eben ermöglicht, Ressourcen gezielter und damit sparsamer einzusetzen, beispielsweise in der Landwirtschaft oder eben auch bei dem Management stabiler Stromnetze. Aber sie bringt eben auch Probleme hervor. Man denke an die Ressourcenverschwendung durch Wegwerfhardware oder den riesigen Energieverbrauch im Zusammenhang mit Bitcoin. Insofern muss ich an die Adresse der FDP eine Frage richten – jetzt gucke ich Herrn Brandenburg an; das muss sein, das wissen Sie –; denn die FDP hat ausgerechnet unter der Überschrift „Nachhaltigkeit“ einen Antrag zu Blockchain-Lösungen vorgelegt und ignoriert dabei völlig, dass gerade in diesem Bereich erhebliche Energiemengen verheizt werden. Was soll daran bitte nachhaltig sein?

An die Adresse der Bündnisgrünen gerichtet, will ich anmerken: Ja, Ihr Antrag enthält viele gute Ideen, denen wir auf jeden Fall zustimmen werden.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Aber eins will ich noch sagen: Gesellschaftliche Probleme sollten wir nicht über schlechtes Gewissen lösen.

(Dr. h. c. Thomas Sattelberger [FDP]: Sondern mit Verstaatlichung, nicht wahr?)

Sie können das nicht einfach auf eine individuelle Ebene schubsen, erst recht nicht, wenn dadurch Menschen mit niedrigeren Einkommen zusätzlich benachteiligt werden. Insofern: Ja, es stimmt, wir müssen das Konsumverhalten ändern; aber noch mehr müssen wir die Art ändern, wie wir produzieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Fazit: Nur wenn wir Bildung, Innovation und Digitalisierung auch selbst nachhaltig gestalten, können sie am Ende tatsächlich ihr Potenzial für mehr Nachhaltigkeit entfalten. Danke.

(Beifall bei der LINKEN)