Nachwuchsentwicklung in den Universitäten stärken – wissenschaftliche Redlichkeit unterstützen!

TOP 16) Beratung des Antrags der Abgeordneten der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wissenschaftliche Redlichkeit und die Qualitätssicherung bei Promotionen stärken – Drucksache 17/5195

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– Rede zu Protokoll –

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir wissen nicht, was die Kanzlerin dachte, als sie auf der CEBIT vom Rücktritt ihres Kabinettskollegen zu Guttenberg erfuhr und der Bundesforschungsministerin Annette Schavan zulächelte. Vielleicht hat sie da schon gedacht: „Doktortitel sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren…“ Und man bräuchte eigentlich auch hier ein Bundesprogramm, um die Qualität von Promotionen auch über geeignete Verfahren zu sichern. Im vorliegenden Antrag der Grünen sind dazu, um es vorwegzunehmen, sinnvolle Vorschläge gemacht worden.

Der Bereich der akademischen Nachwuchsförderung ist besonders zwischen den Traditionen der alten universitären Ständegesellschaft und den Reformen des New Public Management eingeklemmt worden. Es gibt noch immer ein enges starkes Abhängigkeitsverhältnis zwischen (meist männlichen) Doktorvätern und ihren „Zöglingen“. Die Betreuungszusage für eine Promotion wird zumeist nach dem langjährigen Aufbau eines persönlichen Vertrauensverhältnisses gegeben. Dabei spielen nicht nur wissenschaftliche, sondern auch persönliche oder gar politische Beziehungen eine große Rolle. Ein Professor wird nur selten jemanden unterstützen, der eine andere wissenschaftliche Denkrichtung als er selbst verfolgt. Diesen uralten Traditionen von akademischer Gefolgschaft, die noch aus der Zeit der Ordinarienuniversität stammen, stehen die marktorientierten Reformen der letzten zehn Jahre gegenüber. Heute wird eine Universität in der Regel nach dem Output bemessen. Ihre Mittelzuweisung hängt von der Zahl ihrer „Produkte“ ab – darunter fallen auch Promotionen. Dies brachte die Universitäten dazu, Mechanismen zur Steigerung ihrer Promotionszahlen zu entwickeln. Parallel dazu wurden im Rahmen der Exzellenzinitiative, aber auch des Bologna-Prozesses das angelsächsische Vorbild von der Promotion als Studienphase in Deutschland eingeführt. Anders als in den USA, Australien oder Großbritannien wurde jedoch weder die Durchlässigkeit erhöht, noch Hierarchien abgebaut. Wer dort promovieren will, kann dies direkt nach einem ersten Bachelorstudienabschluss tun. Von dieser Flexibilität sind wir hier weit entfernt. Stattdessen drücken bei uns in Graduiertenschulen und Promotionsstudiengängen nun Menschen die Schulbank, die mit ihrer Promotion eigentlich schon in die erste Phase wissenschaftlicher Berufsausübung eintreten sollten.

In beiden existierenden Wegen zur Promotion – ob als Mitarbeiter eines Lehrstuhls oder als Promotionsstudentin – kommt die Selbständigkeit der Nachwuchswissenschaftlerinnen und – wissenschaftler zu kurz. Wir sollten diese jungen Menschen, die mit Ende 20, Anfang 30 in ihrer vielleicht kreativsten Lebensphase stecken, mehr zutrauen. Dazu gehört auch, ihre Rolle in der Universität zu stärken und verbindlicher zu gestalten. Es ist richtig, wie von den Grünen beantragt, Promotionsvereinbarungen flächendeckend einzuführen, die Bewertung der Dissertationen durch externen Sachverstand zu objektivieren, die Stellung der Promovierenden gegenüber den betreuenden Hochschullehrerinnen und –lehrern zu stärken. Der Betreuung muss mehr Aufmerksamkeit durch die Institutionen gewidmet werden.

Zwei Dinge sehe ich am Antrag der Grünen jedoch auch kritisch: zum ersten werden die Phasen nach der Promotion vernachlässigt. Und dazu gibt es keinen Grund. In den letzten Jahren sind diverse Plagiatsfälle auch im professoralen Bereich aufgedeckt worden.

Zum zweiten wundert mich die Rhetorik vom Geistigen Eigentum in einem Grünen-Antrag. Ich muss sagen: da ist die Debatte deutlich weiter. Wenn in einer wissenschaftlichen Arbeit Texte von anderen Autorinnen und Autoren im Rahmen zitiert werden, dann ist das eine essenzielle, durch das Zitatrecht gesicherte wissenschaftliche Praxis. Niemandem wird damit etwas weg genommen. Im Gegenteil: die Zitation erhöht die wissenschaftliche Reputation des Zitierten. Dass die Quelle genannt werden muss, ist eine Frage der Redlichkeit und der Kennzeichnung der eigenen Leistung, nicht jedoch des Eigentums. Die Grünen sprechen jedoch in ihrem Antrag mehrfach von Diebstahl. Ich kann für meine Fraktion dazu nur sagen: wir setzen uns intensiv für eine stärkere Betonung von Wissen als Gemeingut, für eine stärkere Offenheit der Wissenschaft im Sinne von Open Access und auch für deren öffentliche Finanzierung ein. Dinge, die offensiv geteilt werden, kann man auch nicht stehlen.

Wehren muss man sich zudem gegen die gezogene Verbindung von wissenschaftlichem Fehlverhalten mit den Möglichkeiten der Digitalisierung und des Internets. Neulich war in einer Zeitung zu lesen, der Guttenberg-Eklat sei auch Folge dieser grassierenden „Creative-Commons-Remix-Mentalität“. Hier ist es notwendig, die verschiedenen Sphären klar und deutlich zu trennen und Mythen zurückzuweisen. Ein Remix, ein Cover, eine Zitation in der Kunst setzt auf das Wiedererkennen durch den Leserinnen und Leser, durch Zuhörerinnen und Zuhörer. Häufig liegt ein Kunsterlebnis gerade darin, die zitierten Textteile oder Melodiestücke zuordnen zu können. Kunst darf mystifizieren und andeuten. Wissenschaft darf das nicht. Hier gelten Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Forschungsergebnisse als oberste Maximen. Zitieren ist eine Grundtechik der Wissenschaft – inklusive aller Quellenangaben. Das Internet kann nichts dafür, wenn jemand sich an diese Regel guter wissenschaftlicher Praxis nicht hält. Es hat aber zugleich ermöglicht, Plagiate schnell aufzufinden – viel schneller, als das noch vor zwanzig Jahren möglich war. Auch die schnelle Durchleuchtung der Guttenbergschen Dissertation wäre ohne das Internet nicht möglich gewesen. Insofern, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, sollten wir nicht von „dieser Copy and Paste-Technik“ schreiben, die durch das Internet um sich gegriffen habe. Computer und Internet vereinfachen die wissenschaftliche Arbeit ganz erheblich. Jeder weiß das – erst recht wenn er oder sie wie ich eine Dissertation im Schreibmaschinenzeitalter verfasst hat. Es gibt also keinen Grund für technologisch inspirierten Kulturpessimismus, sondern viele Gründe für die Reform überkommener Systeme der wissenschaftlichen Nachwuchsentwicklung und der akademischen Selbstkontrolle.