Gesundheitsforschung in den Dienst der Gesellschaft stellen

Zusatztagesordnungspunkt 2) Antrag der Abgeordneten René Röspel, Dr. Carola Reimann, Dr. Ernst Dieter Rossmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Gesundheitsforschung an den Bedarfen
der Patientinnen und Patienten ausrichten – Rahmenprogramm Gesundheitsforschung der Bundesregierung überarbeiten (Drucksache 17/5364)

—–

Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

Sich um die Gesundheit der Bevölkerung zu sorgen, gehört wohl zu den höchsten Ansprüchen einer Gesellschaft. Diese Aufgabe bedarf, soll sie auch nur annähernd gerecht für die Menschen erfüllt werden, eines zutiefst solidarischen Ansatzes. Herr Röspel hat schon gesagt, dass von den Menschen aus gedacht werden soll.

(Zuruf von der SPD: Da hat er recht!)

Für diesen Ansatz bedeutet das, dass das Gesundheitsforschungsprogramm nicht mehr nur in den Grenzen von Nationalstaaten verfolgt werden kann, und für diesen Ansatz bedeutet das, dass die Grenzen zwischen fachwissenschaftlichen Disziplinen überschritten werden müssen.

Was heißt das jetzt aus der Sicht der Linken? Ein modernes Gesundheitsforschungsprogramm muss zwangsläufig seinen Horizont erweitern. Deshalb ist uns besonders wichtig, dass soziale, kulturelle, soziologische, demografische, aber auch ökologische Faktoren einzubeziehen sind, weil auch diese die Gesundheit maßgeblich beeinflussen.

(Beifall bei der LINKEN)

Im Zentrum des Gesundheitsforschungsprogramms sollen nun so große Volkskrankheiten wie Krebs, Herz-Kreislauf-, Stoffwechsel-, Infektions-, Lungen- oder neurodegenerative Erkrankungen stehen. Der Anstieg bei diesen Erkrankungen und die Dramatik ihres Verlaufs werden, wie zwischenzeitlich belegt, eindeutig auch durch unsere Lebensweise geprägt. Daher müssen in neuer Qualität auch Präventions- und Versorgungsforschung in das Konzept integriert werden. Die Linke hat an dieser Stelle wiederholt kritisiert, dass Gesundheitsforschung in dieser Bundesregierung viel zu sehr auf Pharmaentwicklung, Biotechnologie und Medizintechnik verengt ist.

Tatsächlich hätte die Bundesregierung längst weiter sein können. Herr Röspel hat es schon zu Recht gesagt: Immerhin lagen mit dem damaligen als ? neudeutsch ? „Roadmap für die Gesundheitsforschung“ bezeichneten Konzept der schwarz-roten Koalition von 2007 viele deutlich konkretere Vorschläge auf dem Tisch. Aber offensichtlich ist die schwarz-gelbe Gemeinschaftspraxis tapfer entschlossen, ihre konzeptionelle Blutarmut ohne rote Helferzellen zu überstehen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Also muss das Parlament die konkrete strukturelle und finanzielle Umsetzung der angekündigten Initiativen kontrollieren und mit eigenen Vorschlägen bereichern. Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie uns bereits in den Haushaltsberatungen Auskunft darüber gibt, in welchem Verhältnis die einzelnen Aktionsfelder zueinander stehen und wie sie jeweils finanziell unterlegt werden.

Die Erforschung großer Volkskrankheiten ist wahrlich eine Mammutaufgabe, an die sich hohe Erwartungen richten. Das alles ist nicht ohne verlässliche Strukturen, ohne neue bundesweite Vernetzungen und Kooperationen zu schaffen. Also macht die Bildung von Zentren für Gesundheitsforschung unter dem Dach der starken Helmholtz-Gemeinschaft durchaus Sinn. Wenn jedoch die Universitätsklinika in Augenhöhe mitwirken sollen, dann müssen sich Bund und Länder darüber verständigen, wie der chronischen Unterfinanzierung der Universitätsmedizin begegnet werden kann.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Ansonsten können die Klinika ihre Chance, endlich wieder stärker in öffentlich geförderte, nicht kommerzielle Forschung einzusteigen, kaum befriedigend wahrnehmen. Insofern hatten Sie in Ihrer Rede recht. Das Ganze muss jetzt aber auch verbindlich festgehalten werden.

Eine unabhängige klinische Forschung kann dem Wissen über Therapien entscheidende Impulse geben; das wissen wir. Mithin wird die Möglichkeit, eigene Forschungsvorhaben zu verfolgen, auch für wissenschaftlichen Nachwuchs attraktiv. Deshalb betrachte ich es als Fortschritt, dass Nachwuchsfragen in jedem Themengebiet des Programms eine Rolle spielen. Allerdings müssen Sie jetzt nachlegen und verlässliche Perspektiven konzipieren.

Gesundheitsprobleme können, wie ich schon eingangs gesagt habe, nicht mehr nationalstaatlich gelöst werden; sie tragen globalen Charakter. Wer heute meint, dass die wohlhabenden Staaten von den Krankheiten der sogenannten armen Länder verschont bleiben, verkennt den Ernst der Lage. Die Linke sagt: Wir tragen eine hohe Verantwortung dafür, dass Krankheiten, die mit Armut einhergehen, wie HIV, Malaria, Tbc oder tropische Krankheiten, ausgerottet werden können.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Pharmaindustrie ihrerseits ignoriert nämlich erfahrungsgemäß die dramatischen Folgen, weil in den armen Ländern auf sie keine kaufkräftigen Kunden warten. Es ist eine Bankrotterklärung der reichen Staaten, dass die Millenniumsziele der Vereinten Nationen nicht erreicht worden sind.

Nicht genug damit, dass so viele Menschen wie nie hungern, nämlich über 1 Milliarde: Nein, sie sind infolgedessen auch noch dramatisch geschwächt und fast wehrlos gegen Krankheiten. So stehen wir weltweit vor verschärften armutsbedingten medizinischen Großproblemen und damit einhergehenden gesellschaftlichen Konflikten. Krasses Beispiel etwa sind multiresistente Tuberkulosekeime, die sich in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion entwickelt haben und die sich nunmehr über ganz Europa ausbreiten.

Deutschland bezeichnet sich immer wieder gern als „Apotheke der Welt“. Angesichts dessen, was ich gerade gesagt habe, kann ich nur feststellen: Dieser Satz ist falsch. Wenn überhaupt, dann sind wir Apotheke höchstens für den reicheren Teil der Welt. Unter den Fördernationen findet sich Deutschland als eines der reichsten Länder nämlich nur auf Platz 20. Das ist völlig inakzeptabel!

(Beifall bei der LINKEN)

Lediglich 20 Millionen Euro für sogenannte Produktentwicklungspartnerschaften zwischen Industrie und Forschern stehen beispielsweise 800 Millionen Euro gegenüber, die im Rahmen der Pharmainitiative in den letzten Jahren ausgegeben wurden. Das müssen wir ändern.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, das Gesundheitsforschungsprogramm bietet uns durchaus auch auf diesem Feld eine Chance, die hohe Kompetenz wissenschaftlicher Einrichtungen tatsächlich in den Dienst dieser Gesellschaft wie auch der Weltgemeinschaft zu stellen. Packen wir es endlich an!

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN)