Tagesordnungspunkt 28) Antrag der Abgeordneten René Röspel, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Polarregionen schützen – Polarforschung stärken
(Drucksache 17/5228)
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-Rede zu Protokoll-
Sehr geehrte Damen und Herren,
Vom Namensgeber des großen deutschen Polarforschungsinstitut stammt das Zitat: „Wie gleichgültig geht die Natur über unsere Leistungen hinweg.“ Schaut man sich die Veränderungen in den Polarregionen an, dann kann man das Zitat getrost umdrehen: „Gleichgültig gehen wir mit unseren Leistungen über die Natur hinweg.“
Das ewige Eis ist nicht mehr ewig. Der Mensch, und das ist unzweifelhaft, hat das sensible Gleichgewicht des polaren Klimas beeinflusst. Die Polarforschung erkundet die Auswirkungen dieser klimatischen Veränderungen auf die Polarregionen und kann dadurch Rückschlüsse auf das Verhalten der übrigen Teile der Erde ziehen. Die lange Tradition der deutschen Polarforschung begründete sich zu Alfred Wegeners Zeiten auch mit der Lust, an Orte zu gelangen, die kein Mensch vorher betreten hatte und die dortigen Umweltbedingungen zu erforschen. Heute fahren jedoch selbst Kreuzfahrtschiffe in die arktischen Regionen und Touristengruppen besichtigen jahrzehntealte Forschungsstationen. Die heutige Polarforschung ist weniger von Entdeckerdrang getrieben, als vielmehr von der Notwendigkeit, über die Abläufe des menschengemachten Klimawandels und deren Folgen möglichst genau Bescheid zu wissen.
Diese Forschungsziele sind im Antrag der Kolleginnen und Kollegen gut beschrieben. Ebenso wird ausführlich dargestellt, welche Forschungsausstattung die hiesigen Institute zur Verfügung haben und dass diese durchaus globales Spitzenniveau beanspruchen kann. Wir erinnern uns nicht nur an die Begleitung einer Forschungsreise mit der „Polarstern“ durch Mitglieder des Forschungsausschusses, sondern auch an die hitzigen Debatten um das „LOHAFEX“-Experiment mit Eisendüngung im Südatlantik. Wir unterstützen die Forderung des Wissenschaftsrates und der SPD-Kolleginnen und –kollegen, diese herausragenden Infrastrukturen zu erhalten und mit einer abgespeckten Variante eines Forschungseisbrechers ein zweites Polarforschungsschiff im europäischen Rahmen zu bauen und zu betreiben.
Uns erstaunt jedoch, dass der Antrag die großen Probleme, die etwa die Präsidentin des AWI, Frau Prof. Lochte, immer wieder anspricht, vollkommen außen vor lässt: mit dem zunehmenden Wegschmelzen der Eisdecken wird insbesondere die Arktis immer attraktiver für die wirtschaftliche Erschließung. Hier wird mehr als ein Fünftel der unerschlossenen Öl- und Gasvorkommen vermutet. Und auch die Wege über die Nordost- und die Nordwestpassage werden mit der Eisfreiheit seit 2007 für Handelsschiffe attraktiv. Dies ist der Grund, warum die Anrainerstaaten der Arktis ihre Claims abstecken, warum sie eine restriktive Genehmigungspraxis für Forschungsanliegen aus Drittstaaten pflegen. Dies ist auch der Grund, warum die Europäische Union bisher keine gemeinsame Linie, geschweige denn eine gemeinsame Forschungsstrategie für die Arktis gefunden hat. Ähnlich wie für die Antarktis sollte der Forschung Vorrang eingeräumt und die wirtschaftliche Nutzung beschränkt werden. Hier ist jedoch der blinde Fleck der Debatte: einerseits strebt Deutschland explizit aus wirtschaftlichen Gründen nach mehr Einfluss in der Region. Es reicht ein Blick in die einschlägigen Formulierungen des Auswärtigen Amtes bzw. des Verteidigungsministeriums. Man sei auf Rohstoffe aus der Region dringend angewiesen. Andererseits sei die Bundesregierung, wie Außenminister Westerwelle auf der letzten Arktiskonferenz seines Hauses darstellte, an nichts außer Forschungsfreiheit und dem Schutz der polaren Umwelt interessiert. Diese Positionen passen nicht zusammen und widersprechen sich sogar. Sie passen noch weniger, wenn man bedenkt, dass es um die Ausbeutung von fossilen Brennstoffreserven geht, deren Nutzung den von Forschern festgestellten und beklagten Klimawandel weiter beschleunigen würde.
Die Bundesregierung sollte zu einer nationalen und europäischen Strategie zur Erforschung und zum Schutz der kostbaren Umwelt der Polarregionen beitragen. Wenn sie in dieser Hinsicht Zielkonflikte zwischen Forschung, Umweltschutz und Rohstoffhunger abgewogen hat, dann lassen sich auch Investitionsentscheidungen wie die für ein neues europäisches Forschungsschiff auf einer besseren Grundlage treffen. Bisher fehlt eine solche Strategie nicht nur der Bundesregierung, sondern auch der SPD-Fraktion. Ihr Antrag ist überschrieben: „Polarregionen schützen – Polarforschung stärken.“ Im Antrag ist von Schutz leider keine Rede, die Bemühungen um die Forschung können wir unterstützen.