Auch wenn die Kanzlerin Angela Merkel das anders sieht: Die Europäische Idee ist etwas ganz anderes als eine Währung. Ein Blick in die Geschichte erhellt das. Europa war über Jahrhunderte ein einziger Kriegsschauplatz. Nach zwei verheerenden Weltkriegen hat die beginnende europäische Integration zwei Ziele verfolgt. Erstens, die europäischen Nationen sollten enger kooperieren, um Konflikte nicht mehr kriegerisch austragen zu können, zweitens, ein „Sonderweg“ der Bundesrepublik Deutschland sollte ausgeschlossen werden. Davon hat die Bundesrepublik enorm profitiert. So wurde sie von der großen Bürde der Reparationsverpflichtungen befreit. Der Marshallplan konnte daher auch seine Wirkung entfalten. Das „Wirtschaftswunder“ war eine Leistung nicht nur der Deutschen, es resultierte auch aus der Bereitschaft der anderen Völker Europas, dem einstigen Kriegsgegner die Hand zu reichen.
Auch die Herstellung der staatlichen Einheit Deutschlands war verbunden mit Ängsten vor einem zu großen Deutschland, das einen „Sonderweg“ beschreiten könnte. Der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl ließ sich daher darauf verpflichten, die europäische Integration voranzutreiben.
Die Politik, die die Bundeskanzlerin im Verbund mir Sarkozy als „Eurorettung“ offeriert, ist nicht nur ökonomisch falsch. Sie ist vor allem geschichtsvergessen. Jede Nation in der Europäischen Union, die in Not geraten ist, hat gerade seitens Deutschlands ein anderes Herangehen verdient, wie Deutschland es nach dem Zweiten Weltkrieg selbst erfahren hat.
Deshalb muss man der Merkel-Regierung den Vorwurf machen, nationalistisch zu agieren. Sie stärkt die Kräfte der Renationalisierung innerhalb der EU.
Auch die europäische Integrationspolitik war einst ein demokratisches Projekt. Staaten wie Griechenland, Spanien und Portugal wurden Mitglieder der EWG, um den Prozess des Übergangs zur Demokratie ökonomisch zu stabilisieren. Hier wiederholte sich, was auch Zweck der Westintegration der Bundesrepublik Deutschland war: die demokratische Entwicklung stabil zu halten. Heute erleben
wir eine europäische Politik, die sich der Mittel des Diktats bedient. Der Fiskalpakt, der gerade geschmiedet wird, belegt das. Die Parlamente, ob in den angeschlagenen Staaten oder in Deutschland, werden von den „Eurorettern“ als Hindernisse angesehen, die möglichst umgangen werden sollen. Aber das Diktat kommt nicht von irgendwoher. Der Umstand, dass einige private Ratingagenturen Staaten vorschreiben können, was diese zu tun haben, wird von Merkel und Sarkozy nicht als Problem angesehen, was abgestellt werden muss, sondern als Imperativ, der über den Fiskalpakt durchgestellt wird.
Die Folgen einer Politik, die demokratische Legitimation hinter sich gelassen hat, können wir schon jetzt in Griechenland sehen. Zeitungen sprechen von den „neuen Armen“, von „neuer Armut“. Massenhafter sozialer Abstieg bedeutet, dass der Sozialstaat Platz machen musste für die Eurorettung. Das Markenzeichen des westeuropäischen Kapitalismus, ein zugleich sozialstaatlich verfasster zu sein, wird zur Disposition gestellt. Merkel und Sarkozy verraten all das, wofür die europäische Idee einst stand: für die Überwindung nationaler Borniertheit, für eine Demokratie, für eine bestimmte soziale Sicherheit.
Nach der Einführung des Euro hat man mehrheitlich geglaubt, dass es zu einer Angleichung der Volkswirtschaften innerhalb der Eurozone käme. Inzwischen weiß man, dass es anders gekommen ist. Der Euro hat das ökonomische Auseinanderdriften beschleunigt. Exportorientierte Volkswirtschaften wie die deutsche haben durch eine Lohndumpingpolitik Exportvorteile erzielt gegenüber Volkswirtschaften mit besserer Lohnentwicklung. Wenn das Ziel einer für alle Beteiligten guten Wirtschaftsentwicklung verfolgt werden soll, müssen neben den haushaltspolitischen Zielen auch wirtschafts- und sozialpolitische Ziele europäisch koordiniert werden.
Was Staaten wie Griechenland heute brauchen, ist keine (fiskal-)politische Fremdbestimmung. Sie benötigen aber dringend Programme, mit deren Hilfe die Binnenwirtschaft wieder belebt werden kann. Die Verursacher müssen zur Bezahlung herangezogen werden. Vermögensmillionäre in Europa müssen endlich eine angemessene Vermögenssteuer bezahlen. Erst bei Belebung der Wirtschaft und der Einführung einer solchen Vermögenssteuer kann die Sanierung der Haushalte wieder ein realistisches Projekt sein. Außerdem muss die Abhängigkeit der Staatshaushalte von den Finanzmärkten dringend aufgebrochen werden. Geeignet dafür wäre eine direkte Kreditvergabe an Staaten über eine öffentlich-rechtliche Bank, die ihrerseits Kredite bei der EZB aufnimmt. Schließlich erfordert eine gemeinsame Währung auch eine Koordinierung der Wirtschafts- und Sozialpolitik, um die Entwicklung der unterschiedlichen Volkswirtschaften in Richtung gemeinsamen Wohlstands zu lenken. Die großen privaten Banken sind zu verkleinern und öffentlich-rechtlich zu gestalten.
All das wäre ein Projekt des Friedens, der Demokratie und des sozialen Fortschritts in Europa. Dafür tritt DIE LINKE, zusammen mit ihren Partnerinnen und Partnern, in Deutschland und in Europa ein.