Petra Sitte hat auf dem Landesparteitag der LINKEN in Sachsen-Anhalt ihre Ideen für eine moderne LINKE vorgestellt:
„Der heutige Parteitag trägt in doppeltem Sinne besonderen Charakter. Zum einen natürlich, weil wir neu zum Landesvorsitz wählen. Zum anderen weil die Wochen vor und nach Göttingen viel Anlass zu besorgtem Nachdenken gegeben haben. Ich habe nun in Vorbereitung auf unseren Parteitag versucht, manche meiner Eindrücke, Erfahrungen und Überlegungen ein wenig zu systematisieren. Die Ergebnisse möchte ich gern vortragen. Das bleibt natürlich trotzdem fragmentarisch. Aber das finde ich nicht schlimm.
Die Monate vor Göttingen haben viele von uns tief verunsichert, wenn nicht gar erschüttert.
Und wenn man von fast 12% bei letzter Bundestagswahl auf fast 5% in den Umfragen rutscht und dieser Bundestagsfraktion auch noch angehört, dann kann man sich eigentlich nur noch in Grund und Boden schämen.
Auch wenn Gregor Gysi in seiner Rede die Situation in der Fraktion ungeschönt, ja fast apokalyptisch zusammengefasst und auch mir aus der Seele gesprochen hat, fehlt mir doch etwas ganz Wichtiges.
Ich war und bin nämlich, ehrlich gesagt, immer noch ziemlich wütend. Warum?
Soweit es meine Themen betrifft und für andere MitstreiterInnen in der Partei kann ich das wohl ebenfalls feststellen, weiß ich verdammt genau, was wir drauf haben.
In vielen Themen haben wir wirklich Zukunft tragende Ideen. Und ich will, das diese Inhalte von einer starken modernen LINKEN auch getragen werden, wir sie weiter entwickeln und mit vielen Interessierten oder Betroffenen auch diskutieren können. Eine Debattenkultur, wie in den Wochen vor dem Göttinger Parteitag, lässt das aber nicht zu, stößt vielmehr ab.
Mancher glaubt aber auch, es reiche, wenn sich seine „Verkaufsabteilung“ mit Themen in die Partei hinein richtet. Emotionale und ideologische Streicheleinheiten über den eigenen Bauch, mögen dann zwar das innerparteiliche Standing pflegen. Aber dem Standing der LINKEN in der Veränderung dieser Gesellschaft bringt das gar nix!
Konflikte und Widersprüche im Alltagsleben von Menschen dürfen nicht als Werbefläche für Parteien missbraucht werden. Das berührt unser Partei- und Politikverständnis im Kern. Da gibt es ganz offensichtlich noch Klärungsbedarf in der Partei.
Von uns wird erwartet, dass wir zur Lösung von Konflikten und Widersprüchen ganz konkret beitragen – gleich ob in der Gemeinde, im Landkreis, in der Stadt, im Land, im Bund oder in Europa.
Nicht die Losung ist die Lösung!
Es geht mir um das, was unter der Überschrift steht.
Die LINKE als Partei muss ausstrahlen, dass sie ohne Abstriche bereit ist, sich in Konflikte und Widersprüche hineinzubegeben. Und zwar auch dann, wenn‘s weh tut – jeder oder jede von uns in seinen oder ihren Themenfeldern.
DIE LINKE hat, wie uns andere bestätigen, ‘ne Menge kompetenter Leute. Wer hat nicht schon den Satz gehört: Ja sie, Frau oder Herr XY, sie sind ja ganz ok und kompetent, aber ihre Partei…nee das geht ja gar nicht!
Und diese Vielfalt an Menschen und an Fachkompetenz in der LINKEN müssen wir in Handlungs- und Umsetzungskompetenz unserer Partei bringen.
Da findet sich breiter Raum, den wir uns aber auch gegenseitig lassen müssen. Auf diese Weise können wir dann auch viel breiter in die Gesellschaft wirken.
Ich sage immer – die soziale Frage „lauert“ überall!
Prekarisierung frisst sich in die ganze Gesellschaft. Sie macht Angst und „Angst essen Seele auf“. Ob das in klassischer Weise jene Menschen und Bereiche betrifft, die von anderen Parteien abgekoppelt werden oder ob es Felder betrifft, in denen bspw. Qualifizierte und Hochqualifizierte in prekärer Beschäftigung und vor unsicheren Lebensperspektiven stehen, ist völlig gleich, wir müssen uns damit offensiv auseinandersetzen.
Das macht Volkspartei aus – dass sie sich auch in gesellschaftlicher Breite als Partnerin vielfältig engagiert. Und da kann es eben nicht die eine Sicht auf die Dinge geben.
Wenn man die Parteigrenzen immer wieder überschreitet, bekommt man auch ein Gespür für Lebensgefühle und für Stimmungen in der Gesellschaft – der gesellschaftlich Starken genauso wie der Schwachen (obwohl ich weiß, dass dieses Bild hinkt).
Da bleibt zwangsläufig kein Platz für abgeschottete Ideologienpflege und geschlossene Veranstaltungen.
Wir entwickeln uns mit der Gesellschaft – und das ist positiv, weil wir Gesellschaft als Gemeinschaft denken.
Das wollen wir gestalten und nicht den Kapitalismus und uns nicht bei der SPD anbiedern oder sonstige „kleine Verbrechen“ begehen. Genau dieser gemeinschaftliche, dieser solidarische Gesellschaftsansatz widerspricht schließlich dem Kapitalismus im Kern.
Und selbst wenn denn doch mal der Fall eintritt, dass wir keinen Kapitalismus mehr haben, dann bewegen wir uns dennoch in einer Demokratie – hoffe ich wenigstens! Tja und auch da gilt es Konflikte zu klären, weil Interessen verschieden sind und Ressourcen begrenzt.
Konflikte sind der Normalfall – und wenn eine Gemeinschaft friedlich Konflikte löst, vereinbart sie Kompromisse.
Es geht also nicht um’s niederringen oder gar besiegen von Menschen und Meinungen, sondern ums gewinnen … und zwar von Menschen! Diesen Grundkonsens, diesen Politikansatz sollten wir aus unserem Programm lesen! Dann ist die Chance, eine verlässliche Handlungsbasis aufzubauen – in verschiedensten Bündnissen, auch in flexiblen Formen und Fristen, auch mit den verschiedensten Akteuren – schlicht und ergreifend am größten. Parlamente und gewählte Gremien können wir konsequent nutzen, um über diese hinaus zu handeln.
Schwarmintelligenz oder eben auch die Weisheit der Vielen sollten wir mit mobilisieren.
Vertrauen durch Handeln bestimmt dann auch über unsere Akzeptanz, über unsere Politikfähigkeit und schließlich auch über unsere Wählbarkeit. In solch einer Offenheit, muss sich niemand rechtfertigen, wenn er oder sie auch mal einen Sidestep von einer „roten Haltelinie“ macht, weil das Zusammenarbeiten mit andere Menschen, mit Menschen die auch Lösungswege suchen, eine gegenseitige Perspektivenübernahme bedingt.
Die Gesellschaft ist über Jahre individualisiert worden. Da ist es klar, dass wir das verschüttete Bedürfnis vieler Menschen, gemeinschaftlich etwas zu erreichen bzw. erreichen zu können, langsam erst wieder mit aktivieren und aufbauen müssen.
Und warum sollten wir dabei nicht auch Lust auf Veränderung ausstrahlen? Veränderung muss wieder positiv besetzt werden! Ich glaube, dass unter dieser Sicht, eine Kombination von radikaler Realpolitik und sensibler Symbolpolitik möglich ist.
In diesem Sinne darf die „Verkaufsabteilung“ dann auch wieder den Riemen auf die Orgel werfen.
Gemeinsam etwas unternehmen und etwas erreichen oder eben auch mal nicht, kann durchaus auch eine schöne sinnliche Erfahrung sein. Ich jedenfalls habe das gerade erst bei unserem Wahlkampf zur Oberbürgermeisterei in der Stadt Halle erlebt. Das waren sehr intensive und soweit es Swen Knöchel, unseren Spitzenkandidaten, betrifft, beeindruckende und sehr lehrreiche Wochen.
Die einen ziehen und die anderen schieben! Das wünsche ich mir ausdrücklich auch für Birke Bull, wenn sie uns als Landesvorsitzende vertritt.
Der gesellschaftliche Bedarf für kluge Politik ist vorhanden. Warum, frage ich, sollten wir kluge Politik nicht zu unserem Markenzeichen machen?!“