Die neue Ministerin für Bildung und Forschung wird zunächst für etwa sieben Monate amtieren. Diese Zeit darf nicht nur zur Verwaltung des Bestehenden genutzt werden. Die Probleme in den Politikfeldern brennen unter den Nägeln und dulden kein Zögern. Die neue Ministerin hat die Chance zu einem Kurswechsel, die sie nutzen sollte.
1. Hochschulpakt schnell ausbauen!
Der jetzige Hochschulpakt ist bei weitem unterfinanziert – sowohl im Hinblick auf die Anzahl Studienplätze wie auch die Finanzierung je Studienplatz. In den vergangenen zehn Jahren ist die Zahl der Studierenden an deutschen Hochschulen exponentiell gestiegen. Im Jahr 2012 waren 2,5 Mio. Studierende eingeschrieben. Aufgrund der gestiegenen Studierneigung, der doppelten Abiturjahrgänge in einigen Bundesländern und die Aussetzung der Wehrpflicht hat sich die Zahl der Studienberechtigten in den letzen zehn Jahren fast verdoppelt. Die Studienanfängerquote lag im Jahr 2012 bei 54%.
Die Prognosen der Kultusministerkonferenz und damit auch die Mittelbereitstellung des Hochschulpaktes laufen an der Realität vorbei: Ende letzen Jahres hat die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (GWK) auf Grundlage einer neuen Prognose der KMK (2012) festgestellt, dass die Obergrenze der zu erwartenden zusätzlichen Studienanfänger bereits 2013 überschritten wird. Gegenüber der Beschlusslage des HSP II mit 327.335 zusätzlichen StudienanfängerInnen werden für die Jahre 2011 bis 2015 nun rund 601.388 Studienanfänger mehr erwartet – also knapp 275.000 zusätzliche Studienanfänger mehr als im HSP II derzeit finanziert werden.
Darüber hinaus wird die im Hochschulpakt II festgelegte Finanzobergrenze bereits im Verlauf des Jahres 2014 überschritten werden: Der Bund wird bis 2013 insgesamt 3,627 Mrd. € den Ländern zugewiesen haben. Dann verbleiben bis zur vereinbarten Obergrenze (4,842 Mrd. €) rund 1,215 Mrd. €. Bei Annahme der KMK-Prognose (2012) und der geltenden Regeln des HSP II werden für den Ausbau der Studienplätze im Jahr 2014 aber Bundesmittel in Höhe von 1,627 Mrd. € nötig. Dies bedeutet, dass bis 2015 vorgesehenen Mittel bereits im Laufe des Jahres 2014 aufgebraucht sind!
Wir brauchen eine schnelle Reaktion, wenn die Hochschulen Planungssicherheit für das kommende Jahr 2014 bekommen sollen. Ministerin Wanka sollte sich für eine sofortige Aufstockung des Hochschulpaktes im Rahmen einer Angleichung an die aktuelle Prognose der KMK einsetzen, um jedem Studienberechtigten einen Studienplatz zu gewähren. Die Studienplatzfinanzierung im Rahmen des Hochschulpaktes muss den realen Kosten eines Studienplatzes angepasst werden. Dies wären 28.840 €. Der Bundesanteil beträgt damit etwa 14.420 €. Zudem sollte eine Masterkomponente eingebaut werden, die die reale Durchschnittsdauer eines Studiums abbildet und den Zugang zum Master öffnet. Dabei ist nach Fächergruppen zu unterscheiden, damit auch in kostenintensiveren Studiengängen ausreichend Studienplätze geschaffen werden können. Ministerin Wanka sollte zudem den Ländern deutlich machen, dass diese ihren Eigenanteil erbringen müssen. Es darf nicht zu Kürzungsprogrammen kommen, während die Studierendenzahlen explodieren.
2. Abschaffung des Kooperationsverbotes vorbereiten
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung, der das Kooperationsverbot von Bund und Ländern ein kleines Stück aufweichen sollte, ist zu Recht im Bundesrat gescheitert. Die enge Formulierung hilft niemandem und erleichtert weder eine nachhaltige Strukturpolitik in der Forschung, noch die dringend notwendigen Investitionen im Bildungsbereich. Amtsvorgängerin Schavan konnte zudem nicht deutlich machen, welches wissenschaftspolitische Konzept sie über die „Rosinenpickerei“ einzelner Kooperationsprojekte von außeruniversitärer und universitärer Forschung hinaus verfolgt. Damit delegitimierte sie ihren eigen gesetzlichen Vorschlag zusätzlich.
Ministerin Wanka sollte sich angesichts der rot-grün-roten Bundesratsmehrheit schnell in Verhandlungen mit den Ländern über eine weitergehende Öffnung des Kooperationsverbotes begeben und die verbleibenden unionsgeführten Länder ins Boot holen. Vorschläge für grundgesetzliche Formulierungen liegen auf dem Tisch. Die Zeit drängt angesichts des Auslaufens wichtiger Finanzierungsinstrumente wie dem Hochschulpakt 2020 sowie der wachsenden Probleme im Bereich von Schulen und Kindertagesstätten.
3. Exzellenzinitiative abwickeln, Hochschulen stärken – den kooperativen Wissenschaftsföderalismus entwickeln
Angesichts der Ungleichgewichte in der Wissenschaftslandschaft, die die so genannte Exzellenzförderung und der öffentliche wie private Drittmittelboom in den vergangenen Jahren hinterlassen haben, steht die Funktionsfähigkeit des Wissenschaftssystems auf dem Spiel. Wenigen „Leuchttürmen“ im Universitätsbereich und einer gut ausfinanzierten außeruniversitären Forschungslandschaft steht die Breite der unterfinanzierten Hochschulen in der Fläche gegenüber. Angesichts der einsetzenden Schuldenbremsen in den Ländern werden über die bisher angekündigten Kürzungsrunden in unionsgeführten Ländern wie Sachsen, Sachsen-Anhalt und Bayern weitere zu Einsparungen im Hochschulbereich gezwungen sein. Weder Drittmittel für die Forschung noch Gelder aus dem Hochschulpakt 2020 können die wegbrechende Grundfinanzierung ausgleichen, zehren sie doch Eigenmittel der Hochschulen auf.
Wer das Wissenschaftssystem stabilisieren will, muss mehr grundständige und langfristige Gelder in die Hochschulen investieren. Der Bund sollte hierzu seinen Beitrag leisten. Die Strategie der Amtsvorgängerin Schavan, mittels der sehr gut ausfinanzierten außeruniversitären Institute Strukturpolitik im Hochschulbereich zu betreiben, sollte Ministerin Wanka beenden. Stattdessen muss die voraussichtlich im April zu erwartende Empfehlung des Wissenschaftsrates zur Zukunft des deutschen Wissenschaftssystems produktiv genutzt werden, um ein kooperatives System der föderalen Hochschul- und Wissenschaftsfinanzierung zu entwerfen. Dabei müssen die Finanzierungsschlüssel in der Forschungsförderung genauso auf den Prüfstand wie die starken Zuwächse der Helmholtz-, Max-Planck- oder Fraunhofer-Instituten. Über die Struktur und den Umfang der DFG-Förderung wird zu reden sein wie über die Höhe der Gemeinkostenpauschalen. Wir brauchen eine Debatte über eine nachhaltige Finanzierung von Studienplätzen ebenso wie eine Verstetigung der Investitionsmittel im Hochschulbau sowie in der digitalen und sozialen Infrastruktur der Hochschulen. Da diese Debatte viele Beteiligte kennt und zu Lösungen in einem hochkomplexen System kommen muss, sollte sie schnell und konstruktiv begonnen werden.
4. Haushaltszuwächse für Bildung und Forschung sichern
Während die Rekordaufwüchse des Ressorts in der Amtszeit von Ministerin Schavan häufig an den realen Herausforderungen vorbei investiert wurden – etwa in Projekte wie die Forschungsprämie, das Deutschlandstipendium oder die jetzige Büchergelderhöhung – muss ihre Amtsnachfolgerin um diese Zuwächse kämpfen. Auch wenn wie im Haushalt des BMBF nicht alle Potenziale zur Umschichtung ausgereizt sind – etwa im Bereich industrienaher Projektförderung -, so braucht das Ressort auch zukünftig mehr Geld. Die Gestaltung eines offenen Bildungs- und Wissenschaftssystems lässt sich nicht mit stagnierenden Mitteln erreichen. Bereits zum kommenden Haushaltsjahr 2014 sollen die Ausgaben für Hochschulen, für den wissenschaftlichen Nachwuchs sowie die Ausbildungsförderung (BAföG) von gut 6 Milliarden Euro (2013) auf 5,5 Milliarden Euro sinken. Mit einer solchen Absenkung wäre dramatische Einschnitte verbunden. Die Erarbeitung des Regierungsentwurfes für das kommende Haushaltsjahr fällt in die Amtszeit von Frau Ministerin Wanka. Sie kann hier ihre Erfahrungen aus der akademischen Praxis gewinnbringend einsetzen.