Strukturwandel der Digitalisierung auch für Kreative sozial gestalten

 

 

TOP 34)  ZP 8 Förderung der Kreativwirtschaft

Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

Kluge Menschen wissen es längst: Digitalisierung und Internet haben uns einen tiefgreifenden Strukturwandel beschert. Vorreiter ist ganz zweifelsohne der Kreativsektor, über den wir heute reden. Die Kolleginnen und Kollegen der SPD sind nun dieser Erkenntnis gefolgt und haben uns einen Antrag vorgelegt, der zeigen soll, wie man diesen Strukturwandel politisch begleiten kann. Das ist aus unserer Sicht im Prinzip allemal der richtige Ansatz, und er ist meilenweit realitätsnäher als der heute ebenfalls zur Debatte stehende Antrag der Regierungsfraktionen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

CDU/CSU und FDP bezeugen mit ihrem Antrag einmal mehr beeindruckend, dass sie diesen Strukturwandel nicht im Ansatz verstanden haben.

(Rita Pawelski (CDU/CSU): Ah ja! Gut, dass jetzt Sie kommen und uns alles erklären!)

Dass Schwarz-Gelb mit verlässlicher Konsequenz die massiven sozialen Probleme, die sich im Kreativsektor auftun, ignoriert, ist für mich ein weiterer Grund, mich heute vor allem mit dem Antrag der SPD und ihren Vorschlägen zu beschäftigen. Schwarz und Gelb bleiben eben Signalfarben für Untiefen, und denen weicht man besser aus.

(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Johannes Selle (CDU/CSU): Nicht für Untiefen, sondern für Tiefgang!)

Der SPD-Antrag versucht sehr wohl, Fahrwasser zu gewinnen, sprich: die Chancen und Folgen der Digitalisierung für die Kreativwirtschaft zu benennen. So ein Rundumschlag das hat gerade schon eine Rolle gespielt muss zwangsläufig an vielen Stellen eher oberflächlich bleiben. Ansonsten würde der Rahmen gesprengt; das ist ganz normal.

Wirklich spannend ist es an den Stellen, an denen es notwendig ist, die Dinge durch eigene Vorstellungen und Vorschläge zu konkretisieren. Ich glaube, zu vielen Punkten Ihres Antrags haben wir Linke bereits Anträge vorgelegt bzw. konkrete Vorschläge erarbeitet. Ich nenne Ihnen nur ein paar Beispiele.

Im Hinblick auf den von der SPD geforderten fairen Interessenausgleich zwischen Urhebern, Nutzern und Verwertern haben wir 2011 einen umfassenden Antrag zur Reform des Urheberrechts vorgelegt.

Im Herbst des vergangenen Jahres haben wir den Entwurf eines Gesetzes zur Schaffung eines durchsetzungsstarken Urhebervertragsrechts vorgelegt, der in Zusammenarbeit mit Urhebern, Juristen und Juristinnen und Verlegern , quasi Open Source, entstanden ist und mit dem wir genau die Dinge ändern wollten, die auch die SPD in ihrem Antrag kritisch sieht.

Sie fordern in Ihrem Antrag eine Reform der Verwertungsgesellschaften, die diese transparenter machen und die Ausschüttungspraxis fairer gestalten soll. Wir haben auch dazu einen Antrag eingebracht.

Schließlich: Sie wollen ein offenes WLAN fördern und dazu die Haftungsunsicherheiten beseitigen. Wir haben auch dazu einen Antrag erarbeitet, der auf eine Initiative des Vereins Digitale Gesellschaft zurückgeht, und ihn in den Bundestag eingebracht.

(Beifall bei der LINKEN)

Mit Verlaub, es geht mir nicht darum, mit der SPD Hase und Igel zu spielen. Worauf ich hinauswill, ist, dass es ein gemeinsames Potenzial gibt, ein progressives und solidarisches Programm zur Begleitung des Strukturwandels namens Digitalisierung umzusetzen. In diesem Sinne möchte ich Sie und natürlich auch die anderen Fraktionen dafür gewinnen, bereits vorliegende Konzepte und Vorschläge mit aufzunehmen und diese letztlich zu realisieren.
(Beifall bei der LINKEN)

So spricht die SPD in ihrem Antrag beispielsweise von sozialen und ökonomischen Risiken, die mit dem Wachstum der Kreativbranche verbunden sind. Richtig! Aber leider ist es nur bei der Benennung der Risiken geblieben. Was noch schwerer wiegt, ist, dass Sie, was die bereits vorhandenen Lösungsvorschläge angeht, hinter Ihren Möglichkeiten zurückbleiben.

Meine Damen und Herren, die Kreativbranche wird im Allgemeinen als Boombranche bezeichnet. Gern wird auch die Entwicklung der Arbeitsverhältnisse in der Kreativindustrie als Prototyp für Entwicklungen des Gesamtarbeitsmarktes angesehen; das hat bei Herrn Steinmeier bereits eine Rolle gespielt. Aber aus meiner Sicht muss man davor warnen. Man muss die Signale, die sich dort zeigen, bereits heute ernst nehmen, und sich fragen: Was sind das von der Qualität her für Arbeitsverhältnisse?

Bei den sogenannten Kreativjobs geht es viel zu oft um prekäre Beschäftigung. Lange Arbeitszeiten, marginale Stundenlöhne, unbezahlte Überstunden, geringe Jobsicherheit und unfreiwillige Scheinselbstständigkeit gehören schlicht und ergreifend zum Alltag in dieser Branche. Der Mehrzahl der Kreativarbeiterinnen und -arbeiter fehlt massiv soziale Absicherung. Ich erinnere an solche Dinge wie private Rentenvorsorge, Krankengeldregelungen oder die bereits angesprochenen Bedingungen für die Auszahlung von Arbeitslosengeld I, die für die betreffenden Personen gar nicht oder fast nicht zu erfüllen sind.

Was brauchen wir also? Wir brauchen Mindesthonorare für Freiberufler und Soloselbstständige. Wir brauchen eine Neuregelung der Anwartschaft im Hinblick auf das Arbeitslosengeld I; auch hierzu haben wir im Übrigen einen Antrag in den Bundestag eingebracht.

(Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Einen sehr guten!)

Wir müssen – da kann ich mich der SPD nur anschließen – die Künstlersozialkasse nicht nur erhalten, wir müssen sie stärken.

(Beifall bei der LINKEN)

Der offene Kunstbegriff im Künstlersozialversicherungsgesetz muss unbedingt erhalten bleiben. Der damit einhergehende Ermessensspielraum zur Aufnahme von neuen Gruppen von Kreativen sollte so weit wie möglich ausgeschöpft werden. Wenn wir nach der Finanzierung dieser Künstlersozialkasse fragen, dann ist es auch notwendig, dass wir uns darüber im Klaren sind, dass die Verwerter – und zwar alle Verwerter – zur Zahlung mit herangezogen werden müssen.

(Beifall bei der LINKEN)

Insofern unterstützen wir die vorgeschlagenen Neuregelungen.

Auch in der Kreativbranche braucht es konkrete Frauenfördermaßnahmen. Es ist erstaunlich; aber ausgerechnet in diesem Punkt ist das Papier der Koalition progressiver – wenn auch minimal. Frauen sind von prekären Verhältnissen in der Kreativbranche besonders stark betroffen; das konnten wir in einer aktuellen Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung zu den Soloselbstständigen lesen.

Mit der Konzentration auf die reine Kreativwirtschaft läuft der SPD-Antrag darüber hinaus Gefahr, Kultur als Ganzes aus dem Blick zu verlieren und allein wirtschaftliche Aspekte in den Vordergrund zu rücken. Wir brauchen aber eine Kulturpolitik, die alle drei Bereiche der Kultur- und Kreativszene umfasst: den privatwirtschaftlichen Sektor, den frei-gemeinnützigen Sektor und den Bereich der öffentlichen Förderung. Warum? Weil diese drei Bereiche ein eng verwobenes Beziehungsgeflecht bilden.

Unternehmen und Kultureinrichtungen finanzieren sich heutzutage aus verschiedenen Töpfen und arbeiten nach Mustern, die aus allen drei genannten Bereichen stammen.

Auch die Kreativen selber, das hat vorhin schon eine Rolle gespielt, vereinen in ihrem Arbeiten häufig alle drei Bereiche; ansonsten könnten sie gar nicht überleben. Wie alle Studien zeigen, wird abwechselnd oder zeitgleich selbstständig und abhängig beschäftigt gearbeitet.

Dass rund 90 Prozent der Erwerbstätigen im Kulturbereich heute im privatwirtschaftlichen Sektor tätig sind, ist, das werden viele Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker sofort nachvollziehen können, keine zufällige Entwicklung. Diese Entwicklung geht eindeutig auf den massiven Rückbau öffentlicher Strukturen zurück. Infolgedessen hat sich die wirtschaftliche Lage der Kulturschaffenden nachhaltig verschlechtert. Um wieder eine Balance herzustellen, ist es wichtig, dass gerade dem frei-gemeinnützigen Bereich und dem öffentlichen Kulturbereich viel mehr Aufmerksamkeit gewidmet wird. Diese Bereiche müssen gestärkt werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Kurzum: Wir brauchen eine Vernetzung der drei Kreativbereiche. Das bedeutet in der Konsequenz, dass die Kreativwirtschaft in die öffentliche Kulturförderung einbezogen werden muss aber nur mit ganz klaren kulturellen Zielsetzungen. Eine verengte, ökonomisierte Sichtweise auf Kultur darf nicht zum Leitbild werden. Ich glaube, dass wir da relativ schnell einig sind.
(Beifall bei der LINKEN)

Wichtig ist vor allem, das ist entscheidend für diese Debatte, dass endlich ausreichend Geld bei den Kreativen selbst ankommt. Da hilft, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ein Hauptstadtkulturfonds light für wenige Städte und Regionen nicht; das wäre sozusagen nur ein Pflasterchen.

Zunächst sollte durch einen Kulturbericht Transparenz geschaffen und offengelegt werden, bei wem die Kulturfördergelder tatsächlich ankommen und ob diese Gelder gerecht verteilt werden. Hier bleibt der SPD-Antrag komischerweise, ich verstehe das gar nicht, hinter den Forderungen, die Sie in Ihrem Kreativpakt formuliert haben, zurück.

Interessant ist weiter, dass in dem Antrag der SPD mehrfach die Öffnung von Prozessen thematisiert wird: Es tauchen Schlagworte wie Open Innovation, Open Education, Open Government auf. Ich finde das gut; das sollte man auf jeden Fall weiter forcieren.

Wenn wir das konsequent zu Ende denken, erkennen wir, dass sich hier eine wichtige Ergänzung und Alternative zu der im SPD-Antrag so dominanten Privatwirtschaft bietet.

Warum betone ich das so? Zum einen erschwert das Öffnen von Prozessen prinzipiell die Abschottung und Verknappung von kreativen Ressourcen. Zum anderen, das ist zu einer Binsenweisheit geworden, gilt uneingeschränkt die technische Tatsache: Alles, was sich in Dateien verbreiten lässt, ist leicht und kostengünstig weiterzureichen und kann nur unter erheblichem Aufwand verknappt werden.

Die Digitalisierung nun „entknappt“ nicht nur in der Kreativbranche Ressourcen und Produkte. Nein, vielmehr macht sie diese einerseits überall nutzbar, andererseits jedoch macht sie sie auch viel schwerer verwertbar. Das ist wichtig, wenn wir über politische Konzepte sprechen, da der privatwirtschaftliche Sektor dort natürlich vor erheblichen Problemen stehen wird. Es wird in der digitalen Gesellschaft künftig eben weniger um Besitz gehen als vielmehr um die Frage der Nutzung. Damit müssen wir uns auseinandersetzen, und dafür bedarf es entsprechender Regelungen.

Die Öffnung kann Zusammenarbeit bedeuten. Wir sollten diese verfolgen statt feindlicher Konkurrenz. Wer sich also mit den Folgen der Digitalisierung auseinandersetzt, sollte dies weniger im Sinne von „privatwirtschaftlich und dort noch ein bisschen staatlich“ tun, sondern er sollte vor allem die dritte Säule betonen, nämlich: Wir brauchen politische Konzepte für neue Formen von Gemeinwirtschaft. Das ist eine ganz wichtige neue Qualität im Zusammenhang mit der Digitalisierung.

(Beifall bei der LINKEN – Burkhardt Müller-Sönksen (FDP): Sagen Sie doch „Sozialismus“ dazu!)

Ach Gott, jetzt müssen Sie mir doch nicht so platt kommen. Haben Sie mir nicht zugehört? Man versucht, es zu erklären, und er versteht es immer noch nicht. Es ist schwierig.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Frau Kollegin Sitte, kommen Sie bitte zum Schluss.

Dr. Petra Sitte (DIE LINKE):
Gerne. Ein Letztes. Statt Digitalisierung nur in der herkömmlichen Logik als Wachstumstreiber zu sehen, sollten wir den digitalen und analogen Commons eine echte Chance geben. Das muss für eine bürgerschaftliche Partei, wie sich die FDP immer bezeichnet hat, doch erst recht attraktiv sein. Ich sehe darin nicht wirklich einen Widerspruch. Aber wir werden sehen, wie Sie sich dazu äußern.
Danke.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Andrea Wicklein (SPD))