Das Kabinett hat gestern seinen Regierungsentwurf für eine Neuregelung zu verwaisten Werken und zum Zweitveröffentlichungsrecht für WissenschaftlerInnen (PDF) vorgestellt. Dass im BMJ nicht nur über Rechtsdurchsetzung, sondern auch über Rechtsfortentwicklung nachgedacht wird, ist schön. Aber besonders weit gehen die Regelungen leider nicht.
Eine Ausnahme für die Nutzung verwaister Werke im Urheberrecht einzuführen, hat die LINKE seit Langem gefordert. Ein großer Teil unseres kulturellen Erbes liegt derzeit brach. Wenn Bücher, Filme und Musik, die in Archiven, Bibliotheken und Museumsbeständen ungenutzt herumliegen, zukünftig online zugänglich sein sollen, ist das grundsätzlich begrüßenswert. Es ist allerdings fraglich, ob es dazu kommen wird. Denn schon die entsprechende EU-Richtlinie lässt leider wenig Gestaltungsspielraum.
So sind zum Beispiel Fotos schon von vornherein nicht enthalten – es sei denn, sie waren mal in einem Buch abgebildet. Und bei den anderen Werkarten wird die „sorgfältige Suche“ nach verschollenen Rechteinhabern, die eine zwingende Voraussetzung für die Online-Zugänglichmachung werden soll, erhebliche Kosten verursachen – zusätzlich zu den Kosten der Digitalisierung. Damit die Schrankenregelung nicht am Ende komplett leerläuft, muss dringend darüber nachgedacht werden, ob man nicht die Last der Recherche auf viele Schultern verteilen kann – etwa von freiwilligen Helfern. Verboten ist das dem Wortlaut des Gesetzes zufolge nicht.
Man darf aber auch nicht vergessen, dass das Problem der verwaisten Werke hausgemacht ist. Es hängt mit den überlangen Schutzfristen zusammen. Und so begrüßenswert es sein mag, wenn ein Register verwaister Werke entsteht: So lange Einträge in diesem Register nicht verbindlich sind und möglicherweise trotzdem nachträglich Vergütungen gezahlt werden müssen, entsteht für die Gedächtnisorganisationen keine Rechtssicherheit. Ohne umfassende Urheberrechtsreformen auf europäischer Ebene werden wir langfristig nicht weiterkommen.
Noch halbherziger kommt die vorgeschlagene Neuregelung für ein Zweitveröffentlichungsrecht daher, mit dem es Wissenschaftlern erlaubt werden soll, ihre Texte auch dann eigenständig zu veröffentlichen, wenn sie einem kommerziellen Verlag exklusive Rechte daran abgetreten haben. Denn dies soll erst nach einem Jahr Wartezeit möglich sein und auch dann nur zu nichtkommerziellen Zwecken.
Die Regierung hat sich hier auf das absolute Minimum des Wünschenswerten beschränkt. Die Embargofrist von einem Jahr ist viel zu lang – danach sind Aufsätze oft schon veraltet.
Auch ist nicht einzusehen, warum Wissenschaftlern zwar erlaubt sein soll, die Texte auf ihrer eigenen Homepage zu veröffentlichen, nicht jedoch, sie erneut in einem Sammelband herauszugeben. Und dann wird auch noch festgeschrieben, dass trotz Zweitveröffentlichungsrecht zukünftig Verleger exklusive Online-Rechte an den Texten ihrer Autoren erwerben, ohne dass dies ausdrücklich im Vertrag vereinbart sein muss. Eine echte Schlechterstellung der Autorinnen und Autoren, die wohl nicht zufällig unter der Hand eingeschmuggelt wird, als angebliche Anpassung an den technischen Fortschritt.
Auch dass die Zweitveröffentlichung nur in der Manuskriptversion, nicht jedoch im selben Format wie die Erstveröffentlichung erscheinen darf, ist schwer nachvollziehbar. Was spricht dagegen, dieselben Seitenzahlen zu verwenden wie in der gedruckten Fassung? Warum soll das wissenschaftliche Zitieren erschwert werden? Offenbar geht es darum, unter der Hand eine Art Leistungsschutzrecht der Verleger am Layout einzuführen. Fakt ist: Das Format der Veröffentlichung ist nicht urheberrechtlich geschützt. Das ist auch gut so und sollte so bleiben.
Es gibt also noch genug Stoff für parlamentarische Beratungen. Vor allem wird es auch in der nächsten Legislaturperiode in Sachen Urheberrecht noch viel zu tun geben.