Der Gesetzentwurf zum Rechtsvereinfachungsgesetz verspricht nicht nur die Verlängerung des Bewilligungszeitraumes für Leistungen der Grundsicherung. Auch vorläufige Entscheidungen des Jobcenters müssen zukünftig die Bedarfsdeckung sicherstellen. Für Auszubildende soll es möglich werden, Hartz-IV-Leistungen parallel zu ihrer Ausbildungsförderung/-vergütung aufstockend zu beziehen. Es wird dann mit dem Hartz-IV-Satz verrechnet. Auch wenn kein Anspruch auf Ausbildungsförderung besteht, soll ALG II beantragt werden können. Die Kosten der Unterkunft sollen zukünftig von Sanktionen ausgenommen sein.
Das klingt ja alles gar nicht so schlecht. Die Arbeit der Jobcentermitarbeiter/-innen soll dadurch erleichtert werden. Leistungsbeziehende sollen schneller und einfacher zu ihrem Recht kommen. Aber Moment einmal! Bei näherer Betrachtung der Vorlage fallen doch zahlreiche Verschlechterungen für Leistungsbeziehende auf und das Rechtsvereinfachungsgesetz entpuppt sich als ein Rechtsverschärfungsgesetz. Am 30. Mai 2016 gab es dazu eine Anhörung im Deutschen Bundestag.
Schauen wir mal genauer hin: Jobcenter können nach dem neuen Gesetz nun Hartz-IV-Leistungen versagen, wenn die Leistungsempfangenden im Falle einer geplanten Zwangsverrentung nicht die geforderten Unterlagen aufbringen und somit ihrer Mitwirkungspflicht nicht nachkommen. Verfrüht in Rente geschickt zu werden, bedeuten für die Betroffenen massive Abstriche in der Rentenleistung. Altersarmut ist somit unumgänglich.
Ein-Euro-Jobs durften bisher nicht länger als 24 Monate ausgeübt werden. Jetzt sollen sie ohne Probleme immer wieder verlängert werden können. So wird sich eine bessere Eingliederung von Langzeitarbeitslosen erhofft. Doch eigentlich fallen sie dann nur länger aus der offiziellen Arbeitslosenstatistik raus. Spürbar bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben sie dadurch eher nicht.
Und wo bleibt die Vereinfachung bei Familien, die getrennt leben?
„Rechtsvereinfachung nennt es die große Koalition, wenn Müttern mit Hartz IV der Lebensunterhalt für ihre Kinder gekürzt wird, weil das Kind ein paar Tage beim umgangsberechtigten Vater ist, der kein Hartz IV bezieht.“ (Katja Kipping, Homepage).
Eltern müssen also nun genau Buch darüber führen, wann ihre Kinder beim anderen Elternteil sind, damit ihnen diese Tage vom Regelsatz abgezogen werden können. Denn wenn sie ihr Kind nicht täglich bei sich haben, benötigen sie auch nicht den vollen Zuschlag – nach Meinung der Großen Koalition. Das ist eine unmenschliche Regelung, die Kinder zu einer Währung degradiert und getrennt lebenden Eltern die ohnehin meist schwierige Situation nur noch schwieriger macht. Vollkommen außer Acht gelassen wird dabei, dass nicht jedes in Trennung lebende Elternpaar einen harmonischen Umgang miteinander pflegt, was hier aber wohl blauäugig vorausgesetzt wird. Das bedeutet, dass Kinder nicht nur als Währung, sondern auch verstärkt als Spielball ihrer ohnehin schon zerrissenen Situation behandelt werden können. Am 03. Juni wurde diese Reglung dank des Protests meiner Partei und der Verbände gekippt.
Auch die Verdi hat sich mit dem Gesetzentwurf auseinandergesetzt und festgestellt, dass zukünftig der Freibetrag für Aufwandsentschädigungen aus ehrenamtlichen Tätigkeiten von 200€ an die tatsächliche Höhe der Aufwandentschädigung angepasst wird. Ursprünglich verhielt es sich so: Wer neben seiner Erwerbstätigkeit eine Aufwandsentschädigung aus einer ehrenamtlichen Tätigkeit bezog, sollte eigentlich einen pauschalen Freibetrag von 200€ für Einkommen und Aufwandentschädigung erhalten; auch wenn die Entschädigungshöhe unter 200€ liegt. Nach der neuen Regelung werden Einkünfte aus Ehrenämtern in ihrer tatsächlichen Höhe freigestellt. Die Pauschale entfällt also. Damit erhöht sich das anzurechnende Einkommen aus der Erwerbstätigkeit und der Leistungsanspruch sinkt.
Ein Beispiel: Eine junge Frau hat einen 450€-Job und stockt mit Hartz IV auf. Sie engagiert sich ehrenamtlich und bekommt dafür eine Aufwandsentschädigung von 100€ im Monat. Monatlich verdient sie sich also 550€ zu Hartz IV dazu. Laut der alten Hartz-Regelung waren ihr von dieser Summe 300€ sicher. Warum? Wegen der 200€-Pauschale für ehrenamtliche Tätigkeiten mit Aufwandsentschädigung und wegen des Freibetrags von 100€, den sie für ihre Erwerbstätigkeit regulär bekommt. Die restlichen 250€ wurden mit dem Regelsatz verrechnet und ihr Leistungsbezug entsprechend verringert. Nach der neuen Regelung sind ihr nur noch 200€ sicher (100€ Ehrenamtsfreibetrag + 100€ Freibetrag auf Erwerbseinkommen). Es werden nun 350€ mit dem Regelsatz verrechnet und ihr Leistungsanspruch sinkt deutlich ab, obwohl sich ihre finanzielle Lage eigentlich nicht verbessert hat. Das Ärgerliche ist, dass die neue Regelung bereits seit Jahren von Jobcentern betrieben wird, obwohl es bisher so nicht festgeschrieben war. Leistungsbeziehende, die sich ehrenamtlich engagieren, werden also noch dafür abgestraft. Dabei will der Staat doch eigentlich seine Bürger/-innen dazu motivieren sich ehrenamtlich zu engagieren. Mit der ursprünglichen Ehrenamtspauschale wäre der Anreiz dazu deutlich höher gewesen.
„Besonders empörend ist doch Folgendes: Selbst innerhalb der strengen Gesetzeslage werden fehlerhafte Sanktionen verhängt. Bei 36 Prozent aller Widersprüche, bei 40 Prozent aller Klagen bekommt der Kläger ganz oder teilweise recht. Das heißt also, auch bei den Sanktionen gilt: Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt.“ (Katja Kipping, Hompage).
DIE LINKE. sieht keine spürbaren Erleichterungen bzw. Vereinfachungen. Im Gegenteil. Die Situation der Leistungsbeziehenden wird durch die neue Gesetzeslage noch verschärft. Das Hartz-IV-System ist und bleibt unmenschlich und zwingt die Menschen in Armut, statt ihnen tatsächlich zu helfen.
Wir fordern daher nicht ohne Grund die Abschaffung des Hartz-IV-Systems. Wir wollen eine sanktionsfreie Mindestsicherung und eine Mindestrente – jeweils in Höhe von 1050€. Wir wollen ein würdevolles Leben für alle in Deutschland lebenden Menschen und keine Sanktionspeitsche für Menschen, die auf soziale Unterstützung angewiesen sind. Jeder Cent zählt, wenn es um die eigene Existenz geht.
Danke an Radio Corax für die Bereitstellung der Studioräumlichkeiten.
(Weiterführende) Quellen:
Rechtsverschärfung für Betroffene und Mehrbelastung für Beschäftigte
Rechtsvereinfachungen bei Hartz IV
MZ: „Hartz IV Geplantes Gesetz fördert Zwangsverrentung und Ein-Euro-Jobs“
Koordinierungsstelle Gewerkschaftlicher Arbeitsgruppen: Geplante Rechtsvereinfachung Hartz IV
Diakonie Deutschland: SGB II: „Die Rechtsvereinfachung muss die Menschen in den Blick nehmen“
Katja Kipping: Schlagwort Hartz IV
Katja Kipping: Weitere Rechtsverschärfung mit der Rechtsvereinfachung bei Hartz IV
Hintergrundpapier zur Rechtsverschärfung bei Hartz IV
Katja Kipping: Sanktionen sind politisches Mittelalter
Positionspapier der Bundestagsfraktion zu Hartz IV